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Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Titel: Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)
Autoren: Dubravka Ugresic
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juckte sie, alles war ihnen zu eng, nichts war ihnen genug, alles waren sie leid.
    Im Unterschied zu den Männern waren die Frauen unsichtbar. Sie hielten sich im Hintergrund, stopften Löcher, damit das Leben nicht fortrann. Für sie war das Leben eine tägliche Aufgabe. Die Männer schienen keine Aufgaben zu haben, sie betrachteten das Flüchtlingsdasein als schwere Invalidität.

    Hier in Amsterdam ging ich manchmal ins
Bella
, ein bosnisches Café, wo finstere und schweigsame Typen saßen, Karten spielten oder in den Fernseher glotzten. Wenn ich eintrat, folgten mir träge Blicke, die nichts ausdrückten, nicht einmal Erstaunen darüber, dass eine Frau diesen den Männern vorbehaltenen Raum betrat. Ich nahm an der Theke Platz, bestellte »unseren« Kaffee und blieb dort eine Weile sitzen, wie zur Buße. Instinktiv duckte ich mich wie sie, fühlte eine unsichtbare Ohrfeige im Gesicht wie sie. Warum ich das tat, weiß ich nicht. Vielleicht hatte ich insgeheim den Wunsch, hin und wieder meine »Herde« zu schnuppern, obwohl ich nicht sicher war, dass ich zu ihr gehörte oder je gehört hatte.

    Auch meine Studenten waren mal bereit,
Unsrige zu sein
, obwohl niemand wusste, was das bedeutete, mal wieder nicht, als handele es sich um eine reale, keine imaginäre Gefahr. Wir wollten weder zu den
Unsrigen da unten
noch zu den
Unsrigen hier
gehören. Mal nahmen wir diese undeutliche kollektive
Identität
an, mal verwarfen wir sie angewidert. Den Satz
Das ist nicht mein Krieg
hörte ich hunderte Male. Und wirklich, es war nicht unser Krieg. Dennoch war er auch
unser Krieg
. Denn sonst wären wir jetzt nicht hier.

4.
Zur Wäsche in den Koffer stopften wir die Sprache,
Unseren einzigen Schatz, und die Bilder von Eltern und Kindern
Und zogen in den Kampf mit den Windmühlen,
Die in Holland die Luft peitschen

    Ferida Duraković

    Zuerst bat ich sie, einen kurzen Fragebogen auszufüllen. Ich wollte wissen, was sie von meinem Unterricht erwarteten; ob die Literaturen Jugoslawiens nun, nach dem Untergang des Landes, insgesamt oder getrennt behandelt werden sollten; welche Autoren und Bücher sie liebten usw. Ich bat sie auch, ihre Lebensläufe aufzuschreiben, und zwar in englischer Sprache.
    »Warum auf Englisch?«
    »Weil es Ihnen leichter fallen wird«, sagte ich.
    Das glaubte ich wirklich. Ich fürchtete (zu Unrecht), in der Muttersprache würden sie sich zu Bekenntnissen versteigen, und das wollte ich in diesem Moment nicht.
    »Mir ist es egal«, murmelte einer.
    »Schreiben Sie, wie Sie möchten.«
    »Unter vollem Namen?«
    »Der Vorname genügt …«
    »Was sind das dann für Lebensläufe?«
    »Schreiben Sie einfach …«
    »Das ist ja wie in der Grundschule«, murrte jemand.

    Zu Hause las ich, was sie verfasst hatten. Rührend war die Naivität einiger Antworten (
Literatur ist Malen mit dem Geist und Singen mit der Seele
). Die Angaben über ihre Lieblingsschriftsteller und -bücher waren enttäuschend vorhersehbar. Da gab es den unvermeidlichen Hermann Hesse gleich mit mehreren Titeln (
Siddhartha, Glasperlenspiel
und
Steppenwolf
). Im selben Rang figurierte auch der jugoslawische Klassiker Meša Selimović mit seinem Roman
Der Derwisch und der Tod.
Die diese beiden Autoren nebeneinander stellten, erwarteten von einem literarischen Werk »starke« Gedanken über das Leben. Sie kannten sicher zwei Selimović-Zitate auswendig: eines, das sie ermutigte, möglichst bald die Provinz zu verlassen, denn
der Mensch ist kein Baum, und Verwurzelung ist sein Unglück
; und das zweite, das sie mit süßem, provinziellem Nihilismus erfüllte, denn
der Tod ist sinnlos wie das Leben
. Auch das Kultbuch
Die Kinder vom Bahnhof Zoo
wurde genannt, mit denen sie sich als Generation identifizierten. Natürlich war auch Charles Bukowski aufgeführt, der ihnen als Rebell und Outsider imponierte. Für sie war er »cool«, »krass«, »angesagt«, ein Autor mit Power in der Hose.
    Ihre Antworten erinnerten mich an die schon vergessenen jugoslawischen Provinzstädtchen mit einer Buchhandlung (und die war auch eher ein Papiergeschäft); mit einem Kino, wo sie sich jeden neuen Film ansahen, bisweilen zweimal; mit ein paar verrauchten Cafés, wo sie sich trafen; mit dem Korso, auf dem sie abends spazierten und sich beschnüffelten wie junge Hunde. In so einem grauen Nest – Bjelovar, Vitez oder Bela Palanka – formte sich ihr Geschmack. Da war ein wenig Castaneda, derihnen mit dem ersten Joint in die Hände gefallen war, ein bisschen
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