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Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Titel: Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)
Autoren: Dubravka Ugresic
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keinen Sponsor finden konnte. Das bereits existierende holländisch-serbokroatische Wörterbuch erkannte er nicht an.
    Dann gab es da noch Zole, der bei einem schwulen Holländer, seinem angeblichen Partner, gemeldet war, um die Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, und Darko aus Opatija, der wirklich schwul war. Die holländischen Behörden waren großzügig gegenüber denen, die behaupteten, in ihren Ländern wegen »sexueller Andersartigkeit« verfolgt gewesen zu sein, großzügiger als gegenüber im Krieg vergewaltigten Frauen. Als das ruchbar wurde, schlüpften viele durch diese Lücke. Viele brachen aus wirklichem Unglück auf, um ihr Glück zu versuchen, andere nutzten einfach die Situation. Gewinn und Verlust wurden unter diesen anormalen Bedingungen mit anderem Maß gemessen.

    Sie studierten Serbokroatisch, denn das war für sie am leichtesten. Wer kein Flüchtlingsvisum hatte, konnte durch das Studiumseinen legalen Aufenthalt verlängern. Einige hatten in der einstigen Heimat eine Fakultät besucht oder absolviert, was hier wenig bedeutete. Serbokroatisch war der einfachste und schnellste Weg zu einem holländischen Diplom, obwohl auch das von wenig Nutzen war. Denen, die andere Sprachen studierten, wie Ana, brachte das Serbokroatisch zusätzliche Punkte, die das Studium erleichterten. Es gab auch solche, die studierten, um an Kredite und Stipendien zu gelangen, und das ging mit Serbokroatisch am leichtesten.
    Sie kamen zurecht. Die meisten »spielten Tennis«. Das hieß in ihrem Gruppenjargon »Wohnungen putzen«. Dafür gab es fünfzehn Gulden pro Stunde. Einige spülten Geschirr in Restaurants oder kellnerten. Ante spielte für ein paar Münzen Akkordeon auf dem Noordermarkt. Ana sortierte früh am Morgen Briefe bei der Post.
Die Arbeit ist nicht schlecht, ich komme mir vor wie der Zwerg in Čapeks »Briefträgermärchen«
, sagte sie.
    Am besten wurde die Schwarzarbeit offenbar im »Ministerium« bezahlt. Einer von den
Unsrigen
hatte einen Job in einer Werkstatt gefunden, wo Kleidung für Sex-Shops gefertigt wurde, und hatte die anderen nachgezogen. Die Arbeit war nicht schwer. Sie nähten aus Leder, Gummi und Latex Kleidungsstücke für Sadomasochisten und Fetischisten. Igor, Nevena und Selim fuhren dreimal wöchentlich nach Amsterdam Noord. Dort befand sich in der Regulateurstraat die Firma »Demask«, die das verzweigte Netz der holländischen Pornoindustrie mit Waren belieferte. Ein S&M-Klub in Den Haag hieß »Ministry of Pain«. Darum nannten meine Studenten ihren Job in der Pornoschneiderei »Arbeit im Ministerium«.
Die S&Ms sind echte Modefreaks. Für sie ist nicht der nackte Körper der schönste Körper. Wäre ich Gucci oder Armani, würde ich das ins Auge fassen
, scherzte Igor.

    Sie kamen gut zurecht, wenn man bedenkt, woher sie kamen. Das ehemalige Land zogen sie hinter sich her wie eine Schleppe. Die
Jugo-Mafia
(meine Schüler sprachen sie holländisch als
Jucho-Mafia
aus) war, wie man erzählte, für ein Drittel der Straftaten in Amsterdam verantwortlich. Diebstahl, Mädchenhandel, Schmuggel, Morde und blutige Abrechnungen füllten die schwarzen Chroniken der holländischen Presse.
    Nur mit ihrer einstigen Heimat kamen sie nicht zurecht. Die Namen Kroatien und Bosnien sprachen sie vorsichtig aus. Das Wort
Jugoslawien
, das jetzt Serbien und Montenegro bedeutete, machte ihnen Mühe. Die in den Medien zirkulierenden Bezeichnungen wie
Klein
- oder
Restjugoslawien
akzeptierten sie nicht.
    Das Jugoslawien, in dem sie geboren und aus dem sie gekommen waren, existierte nicht mehr. Sie nannten es
Juga
, so hieß es früher unter Gastarbeitern. Die Bezeichnungen
Titoland
und
Titanic
kursierten als Witz. Der Name für die Bewohner des verschwundenen Landes war
Unsrige
, manchmal
Jugovići
oder
Jugos
. Die Sprache, derer sie sich bedienten, sofern es nicht um Slowenisch, Mazedonisch oder Albanisch ging, hieß
Unsrig
. Manchmal auch
unsere Sprache.

3.
Fotogen ist das nicht,
und es kostet Jahre.
Längst zogen die Kameras
in den nächsten Krieg.
    Wisława Szymborska

    Sobald ich den Unterrichtsraum zum ersten Mal betrat, erkannte ich die
Unsrigen
. Die
Unsrigen
liefen mit einer unsichtbaren Ohrfeige im Gesicht herum. Sie hatten den schrägen Blick eines ängstlichen Hasen, eine besondere Anspannung, etwas von einem Tier, das lauert, aus welcher Richtung Gefahr drohen könne. Die
Unsrigen
verrieten sich durch eine nervöse Wehmut im Gesicht, durch einen verdüsterten Blick, einen Schatten der
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