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Das Meeresfeuer

Das Meeresfeuer

Titel: Das Meeresfeuer
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hatten sie sich zumeist in
einsamen Gegenden der Weltmeere aufgehalten, weitab von
allen bekannten Schiffahrtsrouten. Hier und jetzt aber befanden
sie sich in einem der dichtbefahrensten Gebiete der Meere. Der
Erste Weltkrieg tobte seit einem guten Jahr, und er hatte auch
vor dem Ozean nicht haltgemacht. Deutsche, britische und
französische Schiffe hatten sich gerade vor den Küsten Englands schon mehr als ein Gefecht geliefert, und jeder, der hier
draußen war, würde den Ozean sehr aufmerksam beobachten.
Aber im Augenblick waren sie allein. Viel zuverlässiger als
ihre Augen überzeugten sie die technischen Gerätschaften der
NAUTILUS davon, daß es im Umkreis mehrerer Meilen kein
anderes Schiff gab. Und die Küste war fast zehn Meilen
entfernt. Selbst mit dem besten Fernglas würde man das Schiff,
das mit ausgeschalteten Lichtern auf dem Wasser trieb, nicht
mehr ausmachen können. Und trotzdem... eine schwache, aber
nagende Beunruhigung blieb. Es war das erste Mal, daß sie seit
ihrer Flucht aus England zurück in diesen Teil der Welt kamen,
und keinem von ihnen war sonderlich wohl dabei.
Mike war Singh auf das Deck der NAUTILUS hinauf gefolgt
und stand fröstelnd in dem schneidenden Wind, der über das
Meer strich. Es war kalt, und es gab außer der Schwärze der
Nacht hier oben absolut nichts zu sehen. Trotzdem war er nicht
der einzige, der heraufgekommen war. In einiger Entfernung
bemerkte er Chris, der neben Singh stand und leise mit ihm
sprach, und jetzt polterten hinter ihm Schritte auf der eisernen
Treppe, die nach oben führte. Er drehte sich herum und erkannte
Juan. Auf seiner Schulter hockte ein struppiger schwarzer
Schatten: Astaroth, der einäugige Kater, der zusammen mit
Serena an Bord gekommen war. Vermutlich, dachte Mike, wird
es nicht mehr lange dauern, bis auch Ben und Trautman
heraufkommen. Sie befanden sich jetzt seit mehr als einer
Woche fast ununterbrochen unter Wasser, und so bequem und
sicher die NAUTILUS auch sein mochte – auf die Dauer hatte
man an Bord das Gefühl, eingesperrt zu sein, gefangen in einem
stählernen Sarg, der Hunderte von Metern unter der
Meeresoberfläche dahintrieb. Sie nutzten jede Möglichkeit, an
Deck zu gehen, die frische Luft zu atmen und vor allem den
freien Himmel über sich zu spüren.
Manchmal fragte sich Mike, wie lange sie dieses Leben wohl
noch führen würden. Als sie die NAUTILUS gefunden hatten,
da hatten sie Trautman mit Mühe und Not davon abbringen
können, das Schiff zu zerstören, denn er war der Meinung
gewesen, daß es eine zu große Gefahr darstellte, sollte es
irgendwann einmal in falsche Hände geraten. Natürlich hatten
sie dieses Ansinnen empört abgelehnt, aber mittlerweile war
Mike nicht mehr so sicher wie damals, daß das richtig gewesen
war. Der große Krieg, von dem sie nur manchmal hörten,
während sie sich in den entlegensten Winkeln der Welt
herumgetrieben hatten, schien Trautmans Worte auf grausame
Weise zu bestätigen. Die ganze Welt war verrückt geworden.
Wenn dieses Schiff tatsächlich einmal in die Hände einer der
Kriegsparteien fallen sollte ... nein, der Gedanke war zu
schrecklich, um ihn zu Ende zu verfolgen.
Er trat einen Schritt beiseite, damit Juan aus dem schmalen
Ausstieg heraustreten konnte. Astaroth sprang mit einem Satz
von seiner Schulter herunter und verschmolz mit der Farbe der
Nacht, als er an Mike vorüberhuschte, und Juan atmete hörbar
auf. Der Kater wog gute zwölf Pfund, und Mike wurde den
Verdacht nicht los, daß er es sich einzig angewöhnt hatte, es
sich dann und wann auf der Schulter eines der Jungen bequem
zu machen und diesen als Reittier zu mißbrauchen, weil er
genau wußte, wie unangenehm sein Gewicht auf die Dauer
werden konnte. Trotz aller Fremdartigkeit und Intelligenz war
Astaroth tief in sich immer noch eine typische Katze – auch
wenn er jedem das Gesicht zerkratzt hätte, der es wagte, das laut
zu sagen.
»Gibt es irgend etwas Neues?« fragte Juan. Was soll es hier
schon Neues geben? dachte Mike. Sie befanden sich mitten auf
dem Meer, zehn Seemeilen von der nächsten Küste entfernt.
»Nein«, antwortete er. »Wir sind allein. « Er drehte sich herum,
vergrub fröstelnd die Hände in den Jackentaschen und ließ
seinen Blick über die Wasseroberfläche schweifen. Im fahlen
Mondlicht wirkte der Ozean vollkommen flach und
vollkommen schwarz, wie eine Ebene aus Teer. Die
NAUTILUS bewegte sich zwar sanft im Rhythmus der Wellen,
aber sie waren jetzt schon so lange an Bord des
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