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Das Meer wird dein Leichentuch

Das Meer wird dein Leichentuch

Titel: Das Meer wird dein Leichentuch
Autoren: Melanie Maine
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                                                                      ***
     
    Ich sah, wie der Bug der Titanic ins Wasser eintauchte und der Atlantik das vordere Wellendeck überspülte. Damian musste mich stützen. Denn obwohl ich ihn nicht verlassen wollte, hatte ich Angst vor dem Unbekannten, zu dem er mich bringen würde.
     
    Der Tod sagte kein Wort. Er stand mitten zwischen den Todgeweihten, die sich vergeblich nach einem Platz in den Booten drängten. Zwischen Angstschreien und Ausbrüchen der Verzweiflung mischten sich hastige, in Todesangst gestammelte Gebete.
     
    Und der Tod, den all diese Menschen fürchteten, stand in all seiner grauenhaften Majestät mitten zwischen ihnen. Doch niemand hatte seine Maske durchschaut. Nur noch eine kleine Weile und sie würden ihn unverhüllt schauen.
     
    Ich wagte nicht, Damian in diesem Augenblick anzusprechen. Immer mehr Rettungsboote gingen zu Wasser. Und aus den unteren Decks drängten sich immer mehr Menschen herauf. Passagiere der Dritten Klasse. Auswanderer, die in der Neuen Welt ein neues Leben beginnen wollten. Doch das Schicksal hatte es bestimmt, dass sie das Land ihrer Träume niemals erreichen sollten. Und das neue Leben sollte für sie auf dem Grunde des Ozeans beginnen.
     
    Langsam begriffen die Menschen an Bord, dass sie verloren waren. Es war nicht zu übersehen, dass die wenigen Rettungsboote nicht ausreichten, sie vor dem Ertrinken zu bewahren. Einige der Männer brachen bei der Erkenntnis, sterben zu müssen, zusammen und heulten wie die verlorenen Seelen im Fegefeuer. Aber die meisten von ihnen blieben gefasst, als sie die Sinnlosigkeit ihrer Lage erkannten. Die Angst in ihren bleichen Gesichtern wurde durch den eisernen Willen des Geistes gebändigt. Dem Tod konnte keiner entgehen. Der Atlantik kannte keine Gnade. Also wollte man mit Würde sterben.
     
    Trotz der hysterischen Schreie einiger Frauen und dem unaufhörlichen Heulen der Sirene spielte die Kapelle weiterhin ihren Ragtime. Obwohl diese tapferen Männer wussten, dass sie sterben würden, kam nicht ein falscher Ton aus ihren Instrumenten.
     
    Gegen 2.OO Uhr in der Nacht waren fast alle Rettungsboote ausgesetzt. Das Meer war spiegelglatt und der Himmel sternenklar. Doch das Wasser hatte minus 2 Grad Celsius. Wer durch die Schwimmweste am Ertrinken gehindert wurde, musste in kurzer Zeit im eisigen Element erfrieren.
     
    Um die letzten Boote wurde gekämpft. Die Matrosen und Offiziere taten ihr Möglichstes, den wenigen Frauen und Kindern, die sie erspähten, einen Platz zu beschaffen.
     
    „Bitte; Mrs. Strauß. Das ist das vorletzte Boot. Sie müssen einsteigen.“ drängte Charles Lightoller die alte Dame.
    „Geh bitte, Ida! “, verlangte ihr Mann. „Du kannst dein Leben retten. Lass mich allein sterben.“
     
    „Sie sollten auf Ihren Mann hören, Mrs. Strauß!“, rief der zweite Offizier.
     
    „Nein, Isidor.“ Ida Strauß umarmte ihren Mann. „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen. Was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen. Wir haben so viele Jahre glücklich zusammengelebt - nun wollen wir auch zusammen sterben.“ Der alte Isidor Strauß hatte Tränen in den Augen, als ihn seine Frau von dem Gewimmel vor dem Boot wegzog.
     
    Aber ein anderer Mann schaffte es noch, das Boot zu besteigen, bevor es in die Tiefe gelassen wurde. Es war Bruce Ismay, der Präsident der White-Star-Linie. Obwohl ihn das Seegericht später von aller Schuld freisprach, glaube ich doch, dass es seine Worte waren, die Kapitän Smith dazu veranlassten, weder den Kurs weiter südwärts zu wählen noch die Geschwindigkeit zu verringern.
     
    Sanft zog mich Damian von der verzweifelten Menge zurück. Einige der Männer riefen mit Todesverachtung ihren Frauen im Boot hinterher, dass man sich ja morgen in New York wiedersehen werde. Ein Wiedersehen, das erst in einer anderen Welt stattfinden wird. Und aus der Ferne erklang der beschwingte Jazz der Kapelle zu uns herüber. Wussten die Musiker, dass sie dem Tod ein Ständchen brachten?
     
    „Miss Bidois. Sie sollten sich langsam von diesem Herrn verabschieden. Ansonsten fahren Sie mit uns hinab und werden zur Gallionsfigur des teuersten Wracks der Weltgeschichte.“ Benjamin Guggenheim schob sich zu uns heran. Er trug einen perfekt sitzenden Smoking und hielt ein Glas mit perlendem Champagner in seiner Hand.
     
    „Ich habe mich extra gut gekleidet, um als Gentleman zu
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