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Das Meer wird dein Leichentuch

Das Meer wird dein Leichentuch

Titel: Das Meer wird dein Leichentuch
Autoren: Melanie Maine
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    „Die Carpathia kommt uns zu Hilfe. Sie ist fünfzig Seemeilen entfernt.“ hörte ich Harold Pride Meldung erstatten. Der zweite Funker reichte Kapitän Smith einen Zettel mit der durchgegebenen Position der Carpathia.
     
    „Sie ist in frühestens vier Stunden bei uns. Viel zu spät zu unserer Rettung.“ brummte Kapitän Smith. „Geben Sie die Position der Carpathia an die Matrosen in den Booten, Mr. Pride. Sie sollen auf ihren Kurs rudern. Dann werden sie gegen Morgen aufgenommen. Uns anderen bleibt nichts, als unsere Seele Gott zu befehlen.“
     
    „Phillips und ich versuchen es weiter, Sir.“ Harold Pride salutierte knapp und rannte zu einem Boot, das gerade zu Wasser gelassen wurde.
    „CQD - kommt schnell. Gefahr! - SOS - Rettet unsere Seelen“ drang der verzweifelte Hilferuf der Titanic durch den Äther. Doch der Funker der Californian, das Schiff, das nur in zehn Seemeilen Entfernung lag, hatte das Gerät abgeschaltet und schlief.
     
    Inzwischen hatte sich die Titanic soweit zum Bug hin gesenkt, dass die Wahrheit nicht mehr verschwiegen werden konnte. Dennoch glaubten die wenigsten der Passagiere, dass dieses prächtige Schiff tatsächlich untergehen konnte. Die Frauen, die von den Matrosen teilweise gewaltsam in die Boote gezerrt wurden, fühlten sich an Bord sicherer als in den Rettungsbooten. Die meisten von ihnen waren deshalb kaum besetzt. Denn die Männer, die mit zusteigen wollten, wurden von den Schiffsoffizieren zurückgedrängt. Schüsse peitschten auf, wenn sie der Forderung „Frauen und Kinder zuerst“ Nachdruck verliehen. Später hat man errechnet, dass mehr als vierhundert Menschen mehr am Leben wären, hätte man die Rettungsboote voll zu Wasser gelassen.
     
    Stewards schoben ein Piano auf Deck, auf dem Wallace Hartley selbst während des Transports seines Instruments flotte Ragtime-Rhythmen spielte. Hartley und seine sechs Musiker mussten eiserne Nerven besitzen. Sie spielten ihren Ragtime mit absoluter Hingabe und schufen so eine Art Party-Atmosphäre an Bord. Die Musik und das Licht, das die Ingenieure und Heizer unten im Schiff bis zuletzt brennen ließen, sorgte dafür, dass eine echte Panik vermieden wurde. Obwohl sich der Bug langsam der Wasserlinie zuneigte, fühlten sich die Menschen an Bord der Titanic immer noch sicher.
     
    Während ich mich dicht an Damian presste, sah ich, wie John Jacob Astor seine Frau zum Boot geleitete. Eine letzte Umarmung und ein letzter Kuss. Dann halfen Matrosen Madeleine in das rettende Boot, während Astor einen Schritt zurücktrat. Astor winkte Madeleine zu, bis das Boot abgefiert wurde. Dann wandte er sich um.
     
    „Ich schätze, wir werden morgen Muscheln zum Frühstück haben, Marquis“, sagte er in einem Anflug von Galgenhumor, als er zu uns trat.
     
    „Sie verstehen es, zu sterben, Colonel!“ In Damians Stimme klang Hochachtung.
     
    „Ich habe auch verstanden, zu leben, Marquis!“ nickte Astor. „Und nun bringen Sie bitte Danielle zu einem der Boote. Sie ist eine Frau und hat ein Recht auf Rettung.“
     
    „Ich bleibe bei Damian“, sagte ich entschlossen. „Denn ich liebe ihn.“
     
    „Diese Worte hat mir auch Madeleine gesagt.“ Astors Stimme klang traurig. „Doch ich habe sie überzeugt, dass das Leben, das sie unter dem Herzen trägt, gerettet werden muss. Mein Kind ...“
     
    „Ihr Sohn, John Jacob Astor“, sagte Damian. „Es wird ein Sohn werden. Und er wird stolz auf den Vater sein, den er nie gekannt hat. Denn er ist ein Beispiel von echtem Mannesmut.“
     
    „Ich tue das, was mir meine Ehre und mein Gewissen vorschreibt, Marquis.“ gab Astor mit leiser Stimme zurück. „In meinem Sohn werde ich weiter leben.“ Obwohl er wusste, dass er in weniger als einer Stunde tot sein würde, war der Milliardär völlig ruhig.
     
    „Vielleicht hätten Sie sich mit ihrem Geld einen Platz in den Booten erkaufen können, Mr. Astor“, sagte Damian nach einer Weile. „Aber Sie sind zu stolz, mit ihrem Geld das Leben eines anderen Menschen zu vernichten, der dann hätte an Bord bleiben müssen. Möge Ihnen der Allmächtige dieses Opfer anrechnen und Ihnen den ewigen Frieden geben.“
     
    „Gott befohlen, Marquis. Leben Sie wohl, Danielle!“ Mit einer kurzen Verbeugung wandte sich John Jacob Astor ab und verschwand in seiner Suite. Möge Gott ihm ein gnädiger Richter sein.
     
                               
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