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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau
Autoren: Veronika Peters
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Situation nett und tröstlich: Jemand, von dem man, wenn auch brummig, Mädel genannt worden war, der setzte einen nicht ohne weiteres vor die Tür. Jedenfalls nicht sofort. Familiär war das Wort, das mir einfiel, auch wenn ich mich mit familiären Situationen nicht besonders gut auskannte. Familie fängt ab drei Haushaltsmitgliedern an, und auf die Zahl waren mein Vater und ich seit fast zwanzig Jahren nicht mehr gekommen.
    Ich sah aus dem Fenster und dachte, dass ich dringend mein Telefon aufladen, mich um meine Angelegenheiten kümmern, eine Zukunft planen müsste.
    Fürs Erste hatte der Gedanke allein genug Anstrengung gekostet.

    Die Kopfschmerzen hielten sich in Grenzen, waren aber trotzdem lästig. Kein schlechter Wein gestern, dachte ich, noch besser aber die Entscheidung, beim Inhalt der Einmachgläser zu passen. »Doppelkorn, Nordhäuser, der aus dem Osten«, hatte Elisabeth geschwärmt. Alles eigene Rezepte, hochgeheime Mixturen. Kräuter, Früchte, Tannennadeln, mutmaßte ich. Allein die Dosis, die ich Ania zum Nachtisch trinken sah, hätte mich umgebracht.
    Ruth hatte sich später, nach dem Leeren des ersten Glases, etwas gesprächiger gezeigt.
    Nachdem ihr mitgeteilt worden war, wen sie da vor sich hatte, waren erst ihre zusammengekniffenen Augen an mir entlanggewandert, von oben bis unten, dann wieder rauf, die Arme dabei in die Seiten gestemmt, eine Haltung, die für sie so typisch war wie das ultrakurz geschnittene Haar oder der dunkle Rollkragenpullover. Aber das hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen können.
    Â»Die Enkelin von Johannes Werner, sieh mal einer an …«, hatte sie nach einer gefühlten Ewigkeit gesagt, ohne den Röntgenblick abzumildern. Dann hatte sie die Arme vor der Brust verschränkt und mich unvermindert weiter gemustert. Ich war inzwischen auf Knopfgröße geschrumpft, hatte meine Augen mehrmals hilfesuchend in das Gesicht Elisabeths gehakt und die Idee verflucht, eine alte Tante aufzuspüren und Familienbande wiederzubeleben, die gut in Frieden geruht hatten. Ich nahm mir vor, so schnell wie möglich zu verschwinden, obwohl mich diese dürre kleine Gestalt faszinierte. Sie war dermaßen das Gegenteil von dem, was ich mir vorgestellt hatte, ganz und gar nicht tantenhaft, eher Frettchen als Panda, und doch hatte diese Person etwas an sich, das mich dazu brachte, ihr gefallen zu wollen. Aus irgendeinem Grund wünschte ich
mir, dass sie mich mochte, und fand das ziemlich verwirrend. Ich sah sie an, unfähig, etwas zu sagen.
    Ruth brach den Bann, indem sie mir die Andeutung eines Nickens gönnte und sagte: »So. Und wie kommst du zu Grüßen vom Früchtemann?« Ich atmete auf und gab mit bemühter Gelassenheit Auskunft.
    Nachdem meine Bekanntschaft mit dem LFS geklärt worden war, sagte Elisabeth: »Wir können uns auch setzen«, schenkte Wein aus und begann zu reden, als gingen wir jetzt zur Tagesordnung über. Sie sprach über Ludwig, den Obsthändler, der sechs Kinder von drei Frauen hatte, lobte umständlich die Qualität seiner Ware sowie die Zuverlässigkeit seiner Lieferungen, als wäre dies für alle Beteiligten das dringlichste Thema. »Das Obst vom LFS ist tipptopp!«
    Ruth schaute sie mit einem Ausdruck an, den ich irgendwo zwischen Erstaunen und Belustigung ansiedelte.
    Der Alte mischte sich ein, räsonierte über eine selten gewordene Apfelsorte und erklärte ungefragt die Bedeutung des Namenskürzels: »Ludwig-Ferdinand Schmidt: ›Lecker, Frisch, Saftig‹, auf dem Transporter, haben Sie denn nicht bemerkt …«
    Â»So!«, hatte Ruth unvermittelt dazwischengerufen und die Faust vor mir auf den Tisch krachen lassen. »Jetzt erzählst du, was du hier willst.«
    Bis dahin hatten wir uns noch nicht einmal die Hand gegeben.
    Ich war überzeugt, dass sie mich so bald wie möglich wieder loswerden wollte, es demnach ganz egal war, welche Geschichte ich mir für sie ausdachte oder ob überhaupt eine, und nach kurzer Überlegung antwortete ich, dass ich nicht die geringste Ahnung hätte, ehrlich, Neugierde vielleicht, eine spontane Idee, so ungefähr, es tue mir leid, dass ich ohne vorherige Anmeldung
hereingeschneit sei, ich hätte mir nichts weiter dabei gedacht. Sie hob die Brauen.
    Â»Aber das Gulasch«, fügte ich hastig hinzu, »das ist absolut spektakulär, die Reise wert, auf jeden
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