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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau
Autoren: Veronika Peters
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Arbeitgeber. Allein das war erholsam. Dass ich mich in diesem Haus nicht über die Serienausstattung moderner Tagungshotels würde aufregen müssen, hatte ich schon beim Anblick der Rezeption vermutet. Weitab von allem, auch geschmacklich, befand ich mich in einem Kämmerlein, das eines der Bücher hätte illustrieren können, die mein Vater mir immer zwecks Verbesserung meiner Englischkenntnisse zu Weihnachten oder zum Geburtstag schenkte. Ich hatte mir angewöhnt, die Titel in deutscher Übersetzung zu kaufen, ursprünglich um Papa zu blenden, dann, weil es mir allen Ernstes zu gefallen begann, im Schlepptau von tapferen jungen Damen durch Anwesen mit wohlklingenden Namen wie Netherfield Park oder Thornfield Hall zu schlendern, verstrickt in die Irrungen und Wirrungen der Suche nach Liebe und Ehestand, in Gestalt eines Herrn mit prächtigen Kutschen und »zehntausend Pfund im Jahr«.
    Die englischen Schmonzetten fügten sich bestens in dieses Zimmer, ich selbst fühlte mich mit einem Mal gar nicht mehr generell deplatziert auf der Welt wie noch vierundzwanzig Stunden zuvor und wurde seltsam ruhig inmitten des Sturmgetöses. Das zugige Nest stand mir gut, fand ich, reichlich komfortabel für eine Schiffbrüchige, die sich das Leck selbst geschlagen hatte und an diesem Abend unverdient wohlig gestrandet war.
    Dann schob sich ein Bild dessen, was ich mir letzthin im Rausch geleistet hatte, ins innere Blickfeld, und ich wurde schlagartig nüchtern, froh, alleine in einem Bett des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu sein und nicht damit rechnen zu müssen, dass mich einer dieser alten Leute aus dem Schlaf zerren
und einen Vortrag über Sitte und Benimm halten würde. Mehr Rettung brauchte ich fürs Erste nicht. Im Zeitalter meiner Romanheldinnen wäre ich gesellschaftlich am Ende gewesen, da blieb ich besser in meiner gegenwärtigen Epoche, in der sich derartige Probleme irgendwie regeln ließen.
    Das Bett ächzte sanft, wenn man sich bewegte, die Kopfkissen rochen nach frisch gestärktem Leinen, fühlten sich kühl und glatt an. Ich schlief fest und lange, und die vorige Woche war ein halbe Ewigkeit her. Soweit war sie also ein Erfolg, diese erste Nacht im Haus meiner Tante.
    Â 
    Â»Der Abend wird wahrscheinlich als ›das große Besäufnis‹ in die Geschichte des Palau eingehen«, sagte ich am Morgen, worauf Ruth schroff entgegnete, ich solle mir da mal nichts einbilden. Sie goss sich Kaffee in den Becher, nahm das Ostholsteinische Tagblatt und setzte sich mir gegenüber, so dass ich Sicht auf einen Bericht über die Traktoren-Messe im Preetzer Oldtimer Museum hatte. Ich biss mir auf die Lippen, war aber froh, dass sie sich benahm, als sei meine Anwesenheit am Frühstückstisch bereits eine Selbstverständlichkeit. Ich räusperte mich in der Überzeugung, eine höfliche Bemerkung über Wetter oder angenehmen Schlaf könnte jetzt angebracht sein, nachdem mein erster Satz schon danebengegangen war. Mir fiel ein, dass ich nicht einmal wusste, wie ich sie anreden sollte: Frau Schuhmann, Tante, Ruth, du oder Sie? Was hatte ich gestern zu ihr gesagt?
    Â»Das Wetter ist heute Morgen ja deutlich besser, nicht wahr?«
    Langsam sank die Zeitung, gab die Schussbahn frei für ein Paar Augen, die zwischen dem Rand einer Lesebrille und zusammengezogenen Brauen wenig freundlich schauten.

    Â»Pass auf, Mädel: Wenn du mit mir auskommen willst, dann lerne, dass ich in der Frühe beim Zeitunglesen nicht gestört werde. Und vor dem zweiten Kaffee schon gar nicht.«
    Ich grinste bemüht. »Klar.«
    Eine Früh-Schweigerin, das kam mir entgegen. An diesem Morgen besonders, entband es mich doch davon, den Zeitpunkt meiner Abreise thematisieren zu müssen oder weiteren Unsinn von mir zu geben. Wenn sie keinen Bedarf an Kommunikation hatte, blieb ich gerne still. Ich war vom Vorabend übrig geblieben, mit ungeklärtem Gaststatus, soweit ich mich erinnerte. Dass sie mir jetzt Ratschläge gab, wie ich mit ihr auskommen würde, stimmte mich für den weiteren Verlauf des Wochenendes zuversichtlich. Einen Tag wollte ich gern noch bleiben, vielleicht auch zwei, Strandwanderung inklusive und mehr von dem russischen Essen.
    Eine alte morgengrantlerische Tante, die mich »Mädel« nannte, das gefiel mir. Auch wenn es ziemlich lange her gewesen war, dass jemand dieses Wort zu mir gesagt hatte, klang es in dieser
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