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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau
Autoren: Veronika Peters
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einer Frau wurde hinter den Zapfhähnen sichtbar, weiße Locken umgaben es wie ein durchgeschüttelter Strahlenkranz, zwei Augen von sagenhaftem Blau, darunter ein dezent geschminkter Mund, der sich wie Stirn und Wangen in feine Linien faltete. Dame, dachte ich, eine alte Dame ist sie. Kaum groß genug, um über die Theke zu reichen, war sie ziemlich breitschultrig und in Geblümtes gehüllt, und ich fand mich augenblicklich dazu bereit, sie reizend, liebenswert und wunderschön zu finden.
    Vor mir schepperte eine dampfende Tasse auf den Tresen.
    Â»Haben Sie also doch zu uns reingefunden.«
    Mir fiel nicht ein, was ich erwidern könnte.
    Â»Ganz nass sind Sie geworden. Sie werden sich noch erkälten.«
    Die alte Dame schaute mich freundlich an, schob den Tee näher zu mir hin.
    Â»Nun trinken Sie schon, das wärmt!«
    Wo hatte sie nur diese Stimme her? Sie klang wie Papas alte Jazzladys: zu viele Zigaretten, zu viel Whisky, Verzweiflung, Heiserkeit. Nach nichts von all dem sah sie aus.
    Ich legte meine Hände um das warme Porzellan und konnte nicht anders, als sie anzuschauen und mir zu wünschen, sie würde einfach weitersprechen, egal was, und wenn es noch einmal »Grüß Gott« war. An der holsteinischen Ostseeküste, man stelle sich das vor!
    Â»Katia Werner«, sagte ich und wartete gespannt darauf, wie sie reagieren würde.

    Â»Freut mich«, antwortete sie mit keinerlei Zeichen des Erstaunens, »sagen Sie bloß nicht, Sie haben reserviert.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Â»Hab ihr vorhin schon gesagt, sie soll sich bemerkbar machen«, krächzte es aus einer hinteren Ecke, wo der alte Mann aus dem Meer vor einer Gläserzusammenstellung saß, die mein Großvater Herrengedeck genannt hätte.
    Â»Sie hockte in der Sieben und dachte, es wäre geschlossen. Ihr hattet mal wieder vergessen, das Schild zu tauschen.«
    Â»Wirklich?«, sagte die Frau mir zugewandt. »Dann geht der Tee heute aufs Haus. Noch einen Schuss Rum?«
    Â»Nein, vielen Dank.«
    Â»Die Leute frieren, und ihr vergesst, das Schild zu tauschen! Da kannste lange auf Kundschaft warten.«
    Â»Lass gut sein, Heinrich.«
    Â»Der Gast ist König, schon mal davon gehört? Sie hatte sogar ein Buch dabei.«
    Â»Außerhalb der Ferien kommt doch sowieso keiner. Entschuldigung. Möchten Sie etwas essen?«
    Â»So macht man Pleite, sag ich dir, genau so!«
    Ich nickte. »Sehr gern.« Sie wies mit ausgestrecktem Arm in den Raum, wo außer dem nörgelnden Alten niemand saß.
    Â»Dann schauen Sie mal, ob Sie einen Platz finden.«
    Â»Wenn du mich fragst, ist das …«
    Â»Heinrich, es reicht jetzt!«
    Ich nahm die Tasse mit an einen Tisch auf der Fensterseite, setzte mich so, dass ich die Theke im Auge behalten konnte.
    Â»Schlamperei ist das!«
    Â»Heinrich!«
    Â»Ist doch wahr.«
    Â»Hier, bitte sehr.«

    Sie legte mir die Karte vor, sah auf die Uhr. »Ich frage mal lieber, was es noch gibt. Warm oder kalt?«
    Â»Warm wäre prima.«
    Sie nickte, drehte sich im Abgang noch einmal um.
    Â»Vegetarisch etwa?«
    Â»Nicht unbedingt.«
    Â»Dann rechnen Sie mal mit Gulasch.«
    Sie verschwand hinter dem Tresen in einem schmalen Durchgang mit Schwingtür. Der Alte in der Ecke winkte mir zu. »Schmecken tut es hier immer.«
    Ich versuchte ein Lächeln, das so wenig Kontaktfreudigkeit wie möglich ausstrahlte, und fragte mich, was ich hier eigentlich tat. Ich wartete, dass die Dame wieder auftauchte und mich als ihre Nichte erkannte, das tat ich.
    Die Frau sah weder meinem Vater noch meinem Großvater ähnlich, aber was hieß das schon, sie konnte nach ihrer Mutter kommen. Auch der leichte Akzent musste nicht gegen unsere Verwandtschaft sprechen. Vielleicht war der Adoptivvater ein Österreicher gewesen, den der Krieg ins Münsterland verschlagen hatte, oder sie hatte in Wien Hotelfach gelernt und sich den Sprachklang zu eigen gemacht. Ich hätte meinen Vater mehr ausfragen sollen, mir einige Informationen besorgen, bevor ich hier so reinplatzte, aber egal. Sie wirkte nicht wie jemand, der eine durchgefrorene Halbnichte sofort wieder vor die Tür setzen würde. Sie sah so aus, dass ich sie kennenlernen wollte, wenigstens ein bisschen. Ich musste ihr ja nicht allzu viel von mir erzählen. Ein oder zwei Nächte waren vielleicht drin. Unter Umständen konnte ich etwas im Haus
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