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Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman

Titel: Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman
Autoren: Diana Gabaldon
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hatte, dass er ihm folgen konnte.
    Das Zimmer im ersten Stock war eng und schäbig, doch durch zwei Fenster schien die Sonne auf einen mitgenommenen Tisch nebst Stuhl - und auf eine noch stärker mitgenommene Frau, deren Mund vor Überraschung offen stand, als sie jetzt beim Absetzen eines Tellers mit Brot und Käse erstarrte.
    »Mrs. O’Connell?« Sie wandte ihm den Kopf zu - und jetzt erstarrte Grey ebenfalls. Ihr offener Mund war geschwollen, die Lippen waren aufgeplatzt, und in ihrem Zahnfleisch klaffte ein dunkelrotes Loch, denn einer ihrer unteren Zähne war ausgeschlagen. Beide Augen waren bis auf Schlitze zugeschwollen, und sie blinzelte ihn durch eine Maske aus blau-gelblichen Flecken an. Wie durch ein Wunder war ihre Nase nicht gebrochen; ihr schmaler Nasenrücken und die zierlichen Nasenlöcher lugten überraschend blass aus der Verwüstung hervor.
    Sie hob eine Hand an ihr Gesicht und wandte sich vom Licht ab, als schäme sie sich ihrer Erscheinung.
    »Ich … ja. Ich bin Francine O’Connell«, murmelte sie durch den Fächer ihrer Finger.

    »Mrs. O’Connell!« Stubbs trat einen Schritt auf sie zu, dann blieb er stehen, unsicher, ob er sie berühren sollte. »Wer - wer hat Euch das angetan?«
    »Ihr Mann. Möge seine Seele in der Hölle schmoren.« Die Bemerkung erklang im Konversationston in ihrem Rücken. Als Grey sich umdrehte, sah er den Apotheker ins Zimmer treten. An der Oberfläche war sein Verhalten immer noch beiläufig, doch seine ganze Aufmerksamkeit war auf die Frau konzentriert.
    »Ihr Mann, ja?« Stubbs, der bei all seiner Geselligkeit kein Dummkopf war, griff nach den Händen des Apothekers und drehte dessen Fingerknöchel zum Licht. Der Mann ließ diese Inspektion in aller Ruhe über sich ergehen, dann entzog er Stubbs seine unverletzten Hände. Als sei ihm damit eine Erlaubnis erteilt worden, durchquerte er das Zimmer und stellte sich neben die Frau. Er strahlte unterdrückten Trotz aus.
    »Es ist die Wahrheit«, sagte er, äußerlich nach wie vor ruhig. »Tim O’Connell war ein guter Mann, solange er nüchtern war, aber wenn er getrunken hatte … ein Ungeheuer in Menschengestalt, nicht weniger.« Er schüttelte den Kopf, die Lippen aufeinander gepresst.
    Grey wechselte einen Blick mit Stubbs. Es stimmte; sie konnten sich beide noch gut daran erinnern, wie sie O’Connell einmal am Ende eines freien, durchzechten Abends in Richmond aus dem Gefängnis geholt hatten. Der Konstabler und der Kerkermeister trugen beide die Spuren der Festnahme, wenn auch keiner von ihnen so übel ausgesehen hatte wie O’Connells Frau.
    »Und in welcher Beziehung steht Ihr zu Mrs. O’Connell, wenn ich fragen darf?«, erkundigte sich Grey höflich.
Es war kaum notwendig zu fragen; er konnte sehen, wie sich der Körper der Frau dem Apotheker zuneigte wie eine Kletterranke, die ihres Spaliers beraubt ist.
    »Ich bin natürlich ihr Vermieter«, erwiderte der Mann neutral und legte Mrs. O’Connell die Hand auf den Ellbogen. »Und ein Freund der Familie.«
    »Ein Freund der Familie«, wiederholte Stubbs. »Ah ja.« Seine weit geöffneten blauen Augen wanderten tiefer und verweilten gezielt auf der Taille der Frau, unter deren Schürze sich die Wölbung einer fünf oder sechs Monate alten Schwangerschaft zeigte. Das Regiment - und Sergeant O’Connell - waren gerade einmal vor sechs Wochen nach London zurückgekehrt.
    Stubbs warf Grey einen Blick zu, in dem eine Frage lag. Grey zog sacht eine Schulter hoch, dann nickte er kaum merklich. Wer auch immer Sergeant O’Connell auf dem Gewissen hatte, es war eindeutig nicht seine Frau - und sie hatten sowieso kein Recht, ihr das Geld vorzuenthalten.
    Stubbs grollte leise, griff jedoch in seinen Rock und zog eine Geldbörse hervor, die er auf den Tisch warf.
    »Ein kleines Zeichen der Erinnerung und Wertschätzung«, sagte er, ohne die Feindseligkeit in seiner Stimme zu unterdrücken. »Von den Kameraden Eures Mannes.«
    »Geld für ein Leichentuch, wie? Ich will es nicht.« Die Frau lehnte sich nicht länger an Scanlon, sondern richtete sich auf. Unter ihren Verletzungen war sie bleich, doch ihre Stimme war kräftig. »Nehmt es wieder mit. Ich begrab’ meinen Mann selbst.«
    »Seltsam«, sagte Grey höflich. »Warum sollte die Frau eines Soldaten die Hilfe seiner Kameraden zurückweisen? Ob es ihr Gewissen ist?«

    Bei diesen Worten verfinsterte sich das Gesicht des Apothekers, und die Hände an seinen Seiten ballten sich zu Fäusten.
    »Was meint Ihr damit?«,
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