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Das magische Land 1 - Der Orden der Rose

Das magische Land 1 - Der Orden der Rose

Titel: Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
Autoren: Kathleen Bryan
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bei der Leiche des Herzogs sang, hatte die Hälfte der Psalmen des Offiziums beendet.
    Nicht einmal der König durfte ihre Gebete unterbrechen. Er musste warten und schweigend dastehen — für zwei weitere lange Stunden, auf die eine Stunde priesterlicher Segen folgte.
    Averil genoss sein Unbehagen sehr, obwohl ihr Rücken immer steifer wurde und Hunger und weniger edle Körperfunktionen ihr Recht forderten. Aber damit wurde sie fertig. Das hatten sie die Jahre auf der Insel gelehrt. Erst als der Chor sich in einer weihrauchumwölkten Prozession entfernte, bei der die Akolythen vorangingen und die Priester folgten, richtete Averil den Blick auf den Bruder ihrer Mutter.
    Nach altem Brauch trugen die Könige von Lys das lange Haar und den reichgelockten Bart ihrer Vorfahren. Für einige, so wurde erzählt, war es nur eine lästige Unannehmlichkeit. Für andere war es eine Sache des Stolzes; und für wenige war es eine Mode.
    Es war offensichtlich, zu welcher Gruppe dieser König zählte. Er trug eine Robe aus extravaganter Seide zur Schau, genäht nach einem Schnitt, der so altertümlich war wie alles andere an ihm, mit Ärmeln, die so lang waren, dass sie über den Boden schleiften, und die an den Säumen eingefasst waren mit einer Bordüre aus goldenen Glöckchen, die bei jeder seiner Bewegungen klingelten. Sein Haar und sein Bart waren geölt und parfümiert; seine Wangen waren mit Rouge bemalt wie die einer Hofdame.
    Abgesehen davon war er keineswegs hässlich. Er hatte fein geschnittene Gesichtszüge und klare Haut, blaue, weit auseinander liegende Augen unter geraden Brauen. Er hätte ebenso unschuldig wirken können wie Gereint, wäre nicht der Hauch von Unzufriedenheit gewesen, der tief in seinen Augen lauerte. Er war damit geboren worden, so wurde es zumindest erzählt. Trotz all der Schönheit seines Körpers und der Kraft seiner Magie war sein Herz nicht so gewachsen, wie es sollte. Es war ein winziges, verknotetes Ding. Averil schaute in das Gesicht ihres Feindes. Dass er der Feind war und viel mehr hinter ihm steckte, als sein geckenhaftes Äußeres vermuten ließ, dessen war sie sich ganz sicher. Wer auch immer in seinem Namen handelte, was auch immer getan wurde, es ging alles auf ihn zurück. Der Tod ihres Vaters, die Zerstörung des Rosenordens und der Sturz aller großen Herren und Herrinnen von Lys, all das lag in seiner Verantwortung.
    Sie hatte sich nicht erhoben, um ihn zu begrüßen. Dies war ihr Haus; wenn Clodovec auch König und Lehnsherr war, war es dennoch angemessen, dass er in Anwesenheit des Toten stehen blieb, während sie das Privileg hatte zu sitzen.
    Averil streckte die Hand aus. Er umschloss sie mit kühlen Fingern. Sie hatte fast damit gerechnet, dass seine Hände feucht waren, aber sie waren trocken, genauso trocken wie seine Lippen, die ihren Handrücken streiften. Die Berührung war wie das Züngeln einer Schlange: flink und überraschend sanft. Sie unterdrückte den Impuls zurückzuweichen. Als er ihre Hand losließ, nahm sie sie mit Würde zurück. »Mein König«, sagte sie.
    »Eure Hoheit«, sagte er mit einer wunderbar melodiösen Stimme. »Ich trauere mit Euch.«
    Das war die angemessene Formulierung. Ihre angemessene Reaktion wäre ein gemurmelter Dank gewesen.
    Sie verzichtete auf Angemessenheit. Sie zog die Brauen hoch. »Tatsächlich?« »Comtesse, er war mein Verwandter. Ich habe ihn geehrt. Er hatte meinen Respekt.«
    »Das will ich glauben«, entgegnete sie. »Er fühlte sich sicherlich geehrt durch die Anwesenheit von Eurer Armee in seiner Stadt. Jetzt, da ich zurückgekehrt bin von den Toten und er meinen Platz dort eingenommen hat, haben wir keinen Bedarf mehr an Eurem … Schutz. Es wird mir eine Freude sein, morgen Früh eine Eskorte für Euch bereitzustellen, die Euch aus meiner Stadt hinaus und zur Grenze meines Herzogtums begleiten wird.«
    »Oh, Comtesse«, sagte der König ohne ein Anzeichen von Verärgerung, »Eure Trauer ist tief. Natürlich ist es Euer Wunsch, sie allein zu ertragen. Aber dies ist nicht Eure Insel. Hier gehen wir anders vor. Es würde die Erinnerung an Euren Vater schänden, wenn ich ihn verlassen würde, bevor die Beerdigungsrituale vollzogen sind.«
    »Ganz im Gegenteil, mein König«, erwiderte Averil, »es würde ihn außerordentlich ehren, wenn Ihr Eure Truppen, und zwar alle, aus seinem Reich zurückzieht und ihm jenseits seiner Grenzen Lebewohl sagt. Morgen, mein König. Heute dürft Ihr Abschied von ihm nehmen wie wir alle, mit
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