Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition)
Autoren: Katie Hickman
Vom Netzwerk:
Das schien Pindar noch mehr in Rage zu versetzen, denn mit einer abrupten Bewegung zog er einen kurzen Dolch aus dem Gürtel. »Lärm, Ärger, Durcheinander, und er immer mittendrin!«, schimpfte er, während sein Blick unstet durch den Raum schweifte. Er hob den Arm und richtete die Dolchspitze schwankend gegen seinen Diener. »Und jetzt, Carew, du verdammter … Bastard! Rattenfänger! Ich bring dich um.«
    Damit stürzte er auf seinen Diener zu, fiel jedoch mit einem lauten Krachen wie ein gefällter Baum Ambrose vor die Füße.
    Dabei rollte ein kleiner runder Gegenstand neben ihm über den Fußboden. Von allen unbemerkt, blitzte er kurz auf und verschwand unter dem Bett.

Kapitel 5
    Eine Insel in der Lagune von Venedig, 1604
    Annetta stand am Fenster und lauschte den Glocken.
    Von ihrem Aussichtspunkt im Obergeschoss aus überblickte sie den Klostergarten in seiner vollen Länge – die akkurat geschnittenen Hecken, die liebevoll gepflanzten Blumen und Kräuter. Bald würde sich sogar über diese grüne Oase ein Hitzeschleier legen, aber jetzt am frühen Morgen war alles noch frisch und duftete herrlich. Wie jeden Morgen wandelte eine kleine weiße, leicht gebückte Gestalt, die Nonne Suor Annunciata, mit ihrem hölzernen Gießkännchen zwischen den Beeten umher und verschwand ab und an hinter einem Obstbaum. Weiter hinten lagen die Mauern des berühmten Arzneigartens, dann kam eine Reihe Zypressen, und in der Ferne glänzte die Lagune im ersten Sonnenlicht. Die beste Aussicht, die man haben konnte, dachte Annetta zufrieden, die beste Aussicht, die man sich leisten konnte, wenn man reich war – so wie sie.
    Sie räkelte sich genüsslich und sog die kühle, aromatische Luft ein. Heute war ein großer Tag – Francescas Nichte brachte ihre Hochzeitsgesellschaft zu einem Besuch mit, und alle Nonnen waren eingeladen. Sie würden sich prächtig amüsieren, an Wein und Kuchen und allem möglichen Zuckerwerk laben, alles zu Ehren des glücklichen Paars. Und keine hochnäsige Contessa wäre darunter, die darauf bestand, den Empfangsraum für sich allein zu haben und alle anderen konnten sehen, wo sie blieben. »Habe ich nicht Recht, mein kleiner Piepsi?« Annetta langte in eine Schachtel voller Körner auf dem Fensterbrett und streute eine Handvoll in den Vogelkäfig, der von den Deckenbalken herabhing. Der Spatz hüpfte von seinem Zweig herunter, und seine kohlschwarzen Äuglein funkelten aufgeregt.
    Trotz der anstehenden Festlichkeiten hatte Annetta noch keine Lust, sich anzukleiden. Zu ihren Füßen stand ein Zuber, über dessen Rand ein Leintuch hing, mit dem sie sich gerade gewaschen hatte. Die anderen hielten sie für verrückt, weil sie sich so oft wusch, aber so war sie es nun einmal gewohnt. Außerdem fühlte sich die frische Morgenluft auf ihrer nackten, feuchten Haut wunderbar kühl an. Eine Gänsehaut überlief sie und Annetta erschauerte vor Behagen.
    Immer noch läuteten die Glocken von San Giorgio Maggiore auf der Nachbarinsel in der Nähe der Giudecca. Es war ein hohler, metallischer Klang – ein grüner Klang, kam Annetta in den Sinn und sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Kein Wunder, dass man sie für überdreht hielt. Wie sehr sie die Glocken in all den Jahren ihrer Abwesenheit vermisst hatte! Die Glocken, und diese Aussicht. Im Harem von Konstantinopel hatte niemand außer der Valide eine solche Aussicht genießen dürften, dort blickten die Frauen nur auf Mauern oder Innenhöfe.
    Annetta seufzte. Sie musste sich anziehen, aber es war so angenehm, hier zu stehen – angenehm und ein klein wenig gefährlich, denn sie trug nichts auf dem Leib und war vom Garten aus gut zu sehen. Annunciata schlurfte gemächlich durch den Garten zurück zum Haus. Sie blieb hin und wieder stehen und knipste eine verwelkte Rosenblüte von einem Stängel. Über dem Arm trug sie einen Korb voller Kräuter aus dem Herbarium. Wenn sie jetzt den Kopf hob, überlegte Annetta, würde sie sie splitterfasernackt am Fenster stehen sehen. Annunciata wusste sehr wohl, dass sie da stand, wie jeden Morgen, und hätte sicher liebend gern hochgeblickt, aber sie hatte es sich verboten. Bei diesen Gedanken erschien ein Grübchen auf Annettas Wange. Sie hatte ganz vergessen, wie viel Spaß es machte, die Klosterschwestern zu schockieren.
    Hinter ihr lagen auf dem Bett ausgebreitet die Kleider für den Tag. Obwohl es heiß zu werden versprach, hatte sie beschlossen, sich festlich zu kleiden und die Seidenstrümpfe mit den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher