Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition)
Autoren: Katie Hickman
Vom Netzwerk:
englischsprechende Stimme, eine knappe, präzise Aussprache. »Man sagte mir, ich würde hier einen Mann namens Pindar finden«, erläuterte der Fremde. »Paul Pindar, Kaufmann der Ehrenwerten Levante-Kompanie.«
    »Mr – Jones? Ambrose Jones?«, quetschte Carew hervor, als stecke ihm etwas in der Kehle. »Wir – äh – haben Euch nicht so früh erwartet.«
    »Wir?« Durch Carews Worte ermutigt, trat der Mann einen Schritt näher. »Und mit wem habe ich die Ehre?«
    Constanza hatte neue Kerzen in die Halter gesteckt und angezündet, in deren Licht sie den Fremden zum ersten Mal genauer sahen. Er war etwa Mitte fünfzig und trug das ergrauende Haar von der hohen Stirn zurückgekämmt. Seine vorstehenden blauen Augen erinnerten an Lavendel. Um den Kopf hatte er einen eidottergelben Seidenturban im osmanischen Stil geschlungen. Und die Nase … nun, diese Nase war die außergewöhnlichste Nase, die sie je gesehen hatten. Eine kolossale Nase, die aus der Gesichtsmitte herausragte und sich nach den Seiten hin wellte.
    Der Fremde blickte sich rasch in dem halbdunklen Raum um, und seine Miene verfinsterte sich.
    »Was ist das hier?« Er setzte ein kleines Holzkästchen, das er in den Händen gehalten hatte, ab und fragte in strengem Ton: »Ist dies eine Art Scherz, mein Herr?«
    »Carew?«, ließ sich Constanza vernehmen. Und als Carew, dem es offenbar die Sprache verschlagen hatte, nicht antwortete, sagte sie in schärferem Ton: »Wer ist Euer Freund, John Carew? Ist dies die Person, von der Ihr vorhin so, so … anschaulich gesprochen habt? Ich würde Euch gern willkommen heißen, Sir«, wandte sie sich mit der berühmten Liebenswürdigkeit einer venezianischen Kurtisane an den Fremden, »doch ich bin Euch bedauerlicherweise noch nicht vorgestellt worden.«
    Der Turbanträger antwortete nicht. Er schien gegen Schönheit und Charme immun zu sein. Sein wacher, forschender Blick schweifte durch den Raum wie der Lichtstrahl eines Leuchtturms und nahm alles zur Kenntnis: den großen, bis auf das riesige Bett so gut wie unmöblierten Raum, die Weingläser, die Kurtisane mit den offenen Haaren und dem nackten Hals. Seine Lippen wurden schmal.
    »So, so«, fuhr er Carew an, »Ihr seid demnach John Carew, richtig? Hier verbringt Euer Herr also seine Zeit? Das würde so manches erklären. Und was beabsichtigt er damit, mich in dieses Bordell zu rufen?«
    »Bordell?« Nun war es an Constanza, die Lippen zusammenzupressen. »Was hat das zu bedeuten, Carew? Wer ist dieser … dieser …«
    »Es tut mir leid, Constanza.« Im schwachen Schein der flackernden Kerzen blitzten die Messer, die Carew am Gürtel trug. »Es tut mir aufrichtig leid.«
    Constanza richtete sich zu ihrer vollen Größe auf.
    »Was soll das heißen? Ihr habt ihn mit Absicht hergelockt, oder etwa nicht?«
    »Bitte glaubt mir, Constanza, es war die einzige Möglichkeit.«
    »Was heißt das, die einzige Möglichkeit? Würde mir bitte jemand sagen, was hier vor sich geht?« Ambrose Jones hatte keine Mühe, beide zu überschreien.
    »Meine Herren, meine Herren … Constanza, bitte …«, ertönte vom Eingang her eine dunkle, samtige Stimme.
    »Paul!«
    »Pindar!«
    Alle drei drehten sich gleichzeitig nach dem schlanken, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleideten Mann um. Auf den ersten Blick war er eine vornehme, fast modische Erscheinung. Er trug einen kurzen Umhang und eine Samtweste sowie einen hohen Hut. Doch wer ihn besser kannte, sah sofort, wie schrecklich er sich in der letzten Zeit verändert hatte. Seine Wangen waren eingefallen, die Augen ungesund trübe, die Haut wies die Leichenblässe eines Menschen auf, der selten das Tageslicht sieht.
    »Con-stan-za.« Paul Pindar sprach den Namen übertrieben langsam und betont aus, als seien Zunge und Lippen Fremdkörper, die er nicht beherrschte. »Und Ihr, Sir, wenn ich mich nicht irre, seid Am-brose Jon-es.« Es kostete ihn offensichtlich einige Anstrengung, die Worte auszusprechen, und sie klangen, als klebte ihm die Zunge am Gaumen. Er achtete aber gar nicht auf Ambrose, sondern spähte mit vorgerecktem Hals an dem Besucher vorbei in die dunkle Ecke neben dem Bett, in die sich Carew in seiner Verwirrung verzogen hatte.
    »Ah. Und Carew. Natürlich.« Pindar schwankte leicht und musste sich an einem der Türpfosten festhalten.
    Als Carew stumm blieb, zischte Paul: »Bilde dir bloß nicht ein, dass ich dich nicht sehe, du Rattenfänger. Ich erkenne das Weiße in deinen Augen.«
    Carew rührte sich nicht.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher