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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
Autoren: Catherina Rust
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neugierig zu erfahren, was er da stapelweise zu Papier brachte. Ich verstand es selbst dann nicht, wenn er es mir erklärte. Was war denn so besonders am Leben der Amazonas-Indianer?
    Affeneintopf bei Antonia
     
    Das größte Gefühl der Geborgenheit erlebte ich in den täglichen Mittagsrunden bei meiner indianischen Wahlfamilie, deren Hütte nahe der unseren lag. Zwischen meinem Vater und der Sippe von Araiba, Kamatuouiko Finuliao de Araiba, bestand bereits vor meiner Geburt ein besonderes Band. Sie kannten einander seit Jahren, waren gemeinsam gereist und hatten schon in Bona zusammengelebt. Deshalb war auch ich von Anfang an bei ihnen willkommen.

    Mein Vater bei der Arbeit
     
    Wir hockten um den Kochkessel herum, und ich lauschte dem sanften Gemurmel der Gespräche zwischen Großvater Araiba, Großmutter Antonia und den Enkelkindern Sylvia und Inaina. Ich sah, wie liebevoll und vor allem humorvoll sie miteinander umgingen, wie vertraut sie sich waren. Eine Nähe, die auch mich einfing und Teil ihrer Familie werden ließ.
    Anfangs hatte ich meine spätere Wahlfamilie wohl nur aus der Entfernung beobachtet, neugierig und zugleich schüchtern wie alle Kinder, die in eine fremde Welt hineinkommen. »E rst als Sylvia dich an der Hand genommen hat, bist du mitgekommen«, erzählte mir Araiba rund zwanzig Jahre später. »A ber unser Essen hat dir gleich geschmeckt«, strahlte Antonia. Sylvia musste mich sogar zurückhalten, als ich das erste Mal in ihrer Runde um den Kochkessel saß und gleich zugreifen wollte. Sie legte einen Finger auf die Lippen und bedeutete mir, abzuwarten. Antonia hielt beide Hände in den Dampf, der aus dem Kessel aufstieg, und murmelte monoton klingende Formeln, deren Bedeutung ich nicht verstand. Erst als Antonia geendet hatte, erklärte mir Sylvia, was es damit auf sich hatte. Es war ein uralter Brauch der Aparai, einen Segen über das Essen der Kinder zu sprechen. Er sollte böse Geister, Krankheiten und Unheil aller Art von ihnen abwenden. Fortan wartete ich geduldig wie alle anderen, bis wir endlich zulangen durften. Nacheinander fischten wir mit den Fingern ein Stückchen Fleisch oder Fisch aus dem scharfen Pfeffersud, Aischi genannt. Dass man sich die Hände vor dem Essen besser wäscht, habe ich erst in Deutschland gelernt. Jeder nahm sich nur so viel, dass auch noch genug für die anderen übrig blieb. Das verstand sich von selbst, zumal die Kochkessel nicht immer randvoll gefüllt waren. Nach einer erfolgreichen Jagd durften sich alle den Bauch richtig vollschlagen, an anderen Tagen wurde man kaum satt, und hin und wieder war auch der Hunger zu Gast. Dann gab es nur eine symbolische Mahlzeit, die aus kaum mehr als einem Schluck Suppe bestand.
    Dass Araiba beim Essen seine Witze riss, gehörte dazu. Jeder von uns kam einmal an die Reihe. In meinem Fall war mein gesunder Appetit ein Dauerbrenner.
    »W ie so ein kleines Mädchen so viel essen kann, ist mir schleierhaft. Du verdrückst mehr als ein Dutzend ausgewachsener Krieger zusammen. Wo steckst du das nur hin?«
    »M uss ich von dir haben«, konterte ich.
    Araiba konnte nämlich essen für drei und blieb doch ein Leben lang drahtig, um nicht zu sagen spindeldürr. Was wohl auch daran lag, dass er den ganzen Tag auf den Beinen war. Araiba war emsig wie eine Ameise. Nie erlebte ich ihn ohne Beschäftigung. An manchen Tagen fuhr er noch vor Sonnenaufgang mit seinem Kanu zum Schilfrohrschneiden, auf dem Rückweg angelte er. Danach kochte er Kaffee für alle. Nach einer kurzen Pause machte er sich daran, aus den Schilfbündeln Körbe oder Vorratsbehälter zu flechten. Außerdem kümmerte er sich mit Hingabe um die Pflanzungen der Familie, hackte Maniok oder setzte neue Schösslinge. Araiba wuselte ständig irgendwo herum; und wenn es keine Arbeit mehr gab, dann suchte er sich eben eine. Vom Hang der »f aulen Jugend« zum Müßiggang hielt er nicht viel, das ließ er sie hin und wieder auch spüren. Kindern gegenüber war er deutlich gnädiger. Sie mussten nur helfen, wenn sie wollten. »D ie Kindheit währt nicht lang, der Ernst des Lebens kommt bald genug, geht schön spielen«, pflegte er zu sagen. Ab dem siebten oder achten Lebensjahr galt die Kindheit bei den Aparai als abgeschlossen, danach mussten sie gewisse Pflichten übernehmen. Dass ich schon früh mit Vorliebe den Frauen bei der Küchenarbeit zur Hand ging und mit den anderen Kindern sogar freiwillig Brennholz mit meiner kleinen Rückenkiepe, dem Katauli, holte, während ich
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