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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
Autoren: Catherina Rust
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zu Hause keinen Finger krümmte, konnte ich später in einem humorvollen Brief meines Vaters an meine Großmutter in Deutschland nachlesen.

    Araiba beim Flechten eines Korbes
     
    Wenn die Männer zur Jagd aufbrachen, gingen die Frauen auf die Pflanzungen. Nachmittags wurde gekocht, der Abend gehörte dem Müßiggang, was nicht hieß, dass die Aparai ihre Hände in den Schoß legten. Im Gegenteil. Es galt als Entspannung, Baumwolle zu weben und sich nebenher zu unterhalten, neue Pfeile oder Paddel zu schnitzen oder schönen Federschmuck für das nächste Fest zu knüpfen. Aber es gab eben auch Pflichten, bei denen die Jugendlichen mit anpacken mussten. Marode Dächer flickten sich nicht von alleine, kaputte Fischernetze auch nicht, ganz zu schweigen von den Booten, die durch die vielen Felsen im Fluss wieder mal ein Leck hatten. Araiba verstand es, all das so beiläufig zu erwähnen, dass kein junger Mann und keine junge Frau es gewagt hätten, sich aus dem Staub zu machen. Auch ich bemühte mich in seiner Gegenwart immer, einen ordentlichen Eindruck zu machen, was er mit einem Augenzwinkern belohnte. So streng, wie er tat, war Araiba nämlich gar nicht. Er konnte auch sehr albern sein, weswegen ihn Antonia regelmäßig aufzog: »S o ein alter Junge und kein bisschen weise.«
    Antonia hatte mich schon bald nach unserer Ankunft unter ihre Fittiche genommen, um mich zu einer guten Aparai zu erziehen. Geduldig brachte sie mir die verschiedenen Bezeichnungen der traditionellen Muster bei, wobei sie zu jedem Symbol eine kleine Geschichte erzählte. Bei Festen erfuhr ich von ihr, nach welcher Reihenfolge im Protokoll die Würdenträger in unserem Dorf angesprochen und bewirtet wurden. Auch die Sitzordnung bei Besuchen und Zeremonien erklärte sie mir ganz nebenbei. Ich lernte, dass bei traditionellen Essen die Frauen nur in Frauenrunden und die Männer in Männerrunden saßen. Doch im Alltag war es praktischer, wenn die Familien gemeinsam aßen, so wie ich es auch gewohnt war.
    Den größten Wert legte Antonia darauf, Geist und Körper rein zu halten. Böse Schimpfwörter gingen zum Beispiel gar nicht, ebenso wenig wie schmutzige Fingernägel. Morgens, mittags und abends ein Bad im Fluss bedeutete für die Aparai das Mindeste an Sauberkeit. Lieber einmal zu viel baden, als einmal zu wenig. Das stundenlange gegenseitige Kämmen und Ölen der Haare beugte zudem einem Befall durch Läuse vor und förderte ganz nebenbei noch das Gemeinschaftsgefühl. Im Gegensatz zur Kindererziehung in Deutschland, die manchmal mehr vorschreibt als erklärt, zeugten der Rat und die Erziehung von Antonia von einer genauso unbestreitbaren wie pragmatischen Lebenserfahrung. Es machte mir Spaß, von ihr unterrichtet zu werden. Sie war liebevoll, geduldig und manchmal auch streng, aber niemals autoritär. Und sie behandelte mich immer auf Augenhöhe, was ich umso bemerkenswerter finde, wenn ich heute miterlebe, wie hierzulande manchmal mit Kindern umgesprungen wird.
    Antonias Einfluss und das Leben in der Dorfgemeinschaft führten dazu, dass ich mit der Zeit dachte und fühlte wie eine Aparai. Selbst die Bräuche und das Verhalten meiner Eltern waren mir manchmal fremd. Allein die Art, wie sie aßen, erschien mir unbequem und unnötig kompliziert. Weshalb saßen sie nur in ihrer Urwaldhütte am Küchentisch, und warum machte sich meine Mutter so eine Mühe, selbstgemachten Nudelteig auszurollen und Ravioli zu formen, die mit Hackfleisch gefüllt wurden? Schon der Anblick der Fleischstücke, die meine Mutter durch einen Fleischwolf drehte, war für mich befremdlich. Fleisch schmeckte am besten, wenn man es mit den Zähnen vom Knochen riss. Vom europäischen Essen mit den fremdartigen Gewürzen bekam ich regelmäßig Bauchschmerzen, was für meine Mutter zum Ärgernis wurde. Lustlos stocherte ich in fast allem herum, sogar in Vanillepudding, bei dessen bloßem Geruch sich mir der Magen umdrehte. Einzige Ausnahme waren die Bestände an Corned Beef. Das klein gehäckselte, in Aspik eingelegte und in Büchsen konservierte Fleisch mochte ich sehr gerne. Am besten schmeckte es mit einer ordentlichen Portion Tomatenmark aus der Tube. Nur der metallische Nachgeschmack des Aluminiums war ein wenig gewöhnungsbedürftig.

    Mittagessen bei meiner Wahlfamilie
     
    Meistens gab ich jedoch vor, schon satt zu sein, und wartete nur darauf, von der unbequemen Bank aufspringen zu dürfen. Natürlich erwischte mich mein Vater anschließend in schöner
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