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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin
Autoren: Astrid Fritz
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machten einen Spaziergang durch den nächtlichen Tiergarten, Hand in Hand, bevor sie sich am Tor verabschiedeten.
    Dietrich strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. «Weißt du, wer in den letzten Jahren mein schlimmster Gegner und Peiniger war?»
    «Ulrich?»
    «Nein. Die Angst, dich zu verlieren. Glaub mir, ich liebe dich mehr als mein Leben, und jeden Abend bete ich zu Gott, dass er uns nicht wieder auseinanderreißt.»
    Der einzige Wermutstropfen in jenen Monaten war, dass das Land einstweilen unter Habsburger Schirmherrschaft verblieb. Mit Ulrichs letztem Eroberungsversuch wusste man endgültig: Künftig brauchte man eine starke Hand und Macht über das Land, und so hatte Baiern seine Herrschaftsträume wohl oder übel aufgeben müssen. Dass Wilhelm niemals ernsthaft an eine Nachfolge Christophs gedacht hatte, erfuhr Sabina erst viel später von Dietrich.
    «Dein Bruder wollte vor allem eines: Sich Wirtemberg selbst einzuverleiben. Drum ist es für Christoph nur gut, dass Wilhelm aus dem Spiel ist. Jetzt sitzen durchweg wirtembergische Räte im neuen Regiment, Männer aus diesem Land. Und die haben ganz offiziell verlautbart, dass an deinen Sohn als späteren Regenten weiterhin gedacht werden soll.»
    «Vielleicht hast du recht», seufzte Sabina. Da war noch etwas anderes, was sie beschäftigte. Sie befanden sich in Dietrichs Kabinett, es war zu Beginn des neuen Jahres, und hatten vor sich einen Stapel Papiere liegen. Es ging um die Klage eines Geistlichen, der den Pfarrer zu Waiblingen anprangerte, er weiche von den theologischen Lehren ab und predige in ketzerischer Weise nach dem Evangelium. Da das Amt Waiblingen nach wie vor Sabinas Wittum war, hatte Dietrich sie gebeten, sich der Pfarrersache anzunehmen, und sie hatte gerne zugestimmt. Denn sie wollte den Konflikt auf ihre Weise bereinigen, mit einer Übereinkunft, der beide Seiten zustimmen konnten. Jetzt indessen merkte sie, dass ihr die Aufmerksamkeit hierfür fehlte.
    «Ich mache mir Sorgen um Marie», sagte sie.
    «Wie meinst du das? Es geht ihr doch gut hier in Urach.»
    «Sie wird immer verschlossener. Manchmal schaut sie vor sich hin, als sei sie gar nicht mehr da. Wenn ich sie dann anspreche, muss ich das zwei- oder dreimal tun, und dann erschrickt sie.»
    «Du solltest den Medicus kommen lassen.»
    Sie schüttelte den Kopf. «Das ist nichts, was ein Arzt richten könnte. Ist dir nicht aufgefallen, was am Weihnachtsfest war? Bei der Feier im Hof hat ihr Junge sie gefragt, ob er auch eine Waise sei wie die armen Kinder neben ihm. Da ist Marie davongelaufen und erst einige Zeit später mit roten Augen zurückgekommen.»
    «Es ist gewiss bitter für sie, den Jungen ohne Vater aufwachsen zu sehen. Aber sie wird darüber hinwegkommen, wie jede junge Frau, der der Mann davongelaufen ist.»
    «Dieser Vitus ist ihr nicht einfach davongelaufen. Er glaubt bis heute, dass Marie ihn betrogen hat und dass das Kind nicht von ihm sei. Da hat er sich dann wohl mit einer anderen Frau getröstet.»
    Wieder schüttelte sie den Kopf. Dann schob sie die Papiere beiseite und fragte:
    «Wo genau liegt eigentlich Beutelsbach?»
     
    Marie rannte in der Kinderstube von einer Ecke in die andere. Die Aufgabe, drei quengelnde, aufgeregte Kinder in warme Leibchen und wollene Strümpfe, in Stiefelchen, Felljacken und Mützen zu hüllen, war mit nur zwei Händen kaum zu lösen. Vor allem die Buben liefen ihr immer wieder davon, um aus dem Fenster Ausschau nach dem Schlitten zu halten, während das junge Fräulein von Wirtemberg ein ums andre Mal jammerte, wie sehr die Wollsachen kratzten.
    Heute, an diesem strahlend klaren Wintertag, stand endlich die ersehnte Schlittenfahrt bevor. Nicht in einem dieser albernen Prunkschlitten wollten sie ausfahren, sondern im Familienschlitten, der Platz bot für alle. Den ganzen Tagwürden sie draußen verbringen, nur zu Mittag in einem Landgasthof einkehren, in dem schon alles für eine stärkende warme Mahlzeit vorbereitet war.
    Eigentlich hatte sich Marie auf diesen Ausflug ebenso gefreut wie die Kinder, jetzt aber, wie immer wenn etwas Besonderes bevorstand, spürte sie wieder die dunklen Schatten sich nähern. Es war, als würde eine unsichtbare Faust sie umfassen und ihr die Luft zum Atmen nehmen. Seit längerem schon überfiel sie immer wieder dieses lähmende Gefühl. Seit dem Weihnachtsfest aber, als Veith sie gefragt hatte, ob er eine Waise sei, war es kaum noch zu ertragen.
    Gut nur, dass die Herzogin sie nie mehr auf den Vater
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