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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin
Autoren: Astrid Fritz
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auch wenn Ulrich mit seinen Söldnern wieder mitten im Land steht – es ist noch nicht zu spät. Im Gegenteil: Vielleicht kommt gerade auf diesem Umwege alles zum Besten. Denn wir rüsten unser Heer mit kaiserlicher Hilfe mächtiger denn je, und wir werden Ulrich damit schlagen und ans Ende der Welt jagen, noch bevor es Herbst wird. So sollten wir es vielleicht als eine Gnade des Schicksals sehen, wenn Wirtemberg vorerst unter den Schutz des Kaisers gelangt, des mächtigsten Mannes unter der Sonne. Denn eine Möglichkeit bleibt uns noch immer erhalten: Dass Karl Eurem Sohn das Land übergibt, sobald der Thronfolger alt genug ist. Seid versichert: Ich habe gute Verbindungen zu unserem neuen Kaiser, mein Ältester wird in Kürze in seine Dienste treten, und ich selbst werde alles, was in meinen Kräften steht, unternehmen, um in diese Richtung zu wirken. Es
ist also noch Hoffnung! Darum verzagt nicht, liebe Herrin, denn das Ende dieser bösen Zeiten ist in Sicht.
    Euer in aller Treue ergebener Diener Dietrich Speth.
    Post scriptum: Als ich erfuhr, dass Ihr, für eine Nacht nur, in Nördlingen wart, hat es mir fast das Herz zerrissen. Denn es schlägt noch immer nur für Euch.
     
    Wieder und wieder las Sabina diese Zeilen, dann öffnete sie das Fenster und steckte ihren Kopf hinaus in den strömenden Regen, schloss die Augen und spürte die schweren Tropfen, die sich mit ihren Tränen vermischten.
     
    Der Sommer verging, und Marie zitterte nicht minder als ihre Herrin um das, was in ihrer Heimat vor sich ging.
    Wilhelms Statthalter war mit seinen Männern längst aus Stuttgart geflohen, Ulrich feierte bereits seine siegreiche Rückkehr mit rauschenden Festen. Wo blieb nur dieses ach so mächtige Bundesheer? Die Nachrichten trafen nur noch spärlich ein, sie wussten nur, dass man Ulrich zur offenen Schlacht zwingen wollte, wo und wann hingegen erfuhren sie nicht.
    So verbrachten sie und Herzogin Sabina die Tage und Wochen in Ungewissheit, verurteilt zu hilflosem Warten. Die Herzogin blieb die meiste Zeit allein in ihrer Stube. Nur manchmal holte sie sich Marie und Veith zur Gesellschaft, sah sie doch in ihnen das einzige Band zu ihren Kindern, das ihr noch verblieben war. In diesen Stunden wollte Sabina Geschichten über Christoph und Anna erzählt haben, wollte von Marie wissen, welche Eigenheiten ihre Kinder hatten, von Veith, was sie am liebsten miteinander gespielt oder worüber sie sich gestritten hatten. Manchmal saßen sie auch nur beieinander und schwiegen.
    Dabei quälte Marie das Heimweh von Tag zu Tag mehr. Sie kam mit den Menschen hier bei Hofe nicht zurecht, weder mit ihrer fremdartigen Mundart noch mit ihrem oft ruppigen Wesen. Allzu schmerzlich spürte sie, dass man ihr ihre bevorzugte Stellung neidete. ‹Schwabenmetze› nannten die Knechte und Mägde sie abfällig, sie tuschelten hinter ihrem Rücken, behinderten sie bei der täglichen Arbeit oder hinterbrachten der Herzogin boshafte Lügengeschichten über sie, von denen Sabina zum Glück kein Wort glaubte. Am ärgsten aber schmerzte sie, wie ihr Sohn Veith von den andern Kindern gepiesackt wurde. Erst neulich wieder hatten sie ihm die Hände auf den Rücken gebunden, einen Schellenstrick an den Hosenbund gehängt und ihn mit Stecken durch die Gassen gejagt.
    Wie gern hätte sie Halt im Glauben gesucht. Aber seitdem das mit Muthlein geschehen war, fand sie keinen rechten Zugang mehr zu Gott. Jedes Mal, wenn sie zum Gebet die Augen schloss, tauchte das Gesicht des jungen Pfarrers vor ihr auf, wie er sich mit dem Mut der Verzweiflung gegen den Herzog warf, wie er mit blutüberströmtem Schädel vor ihren Augen zusammenbrach.
    Dass ihre Herrin regelmäßig in der Heiligen Schrift las, war Marie nicht entgangen, und sie beneidete sie fast darum. Einmal, es war kurz nach Ulrichs Einnahme von Stuttgart, überraschte sie die Herzogin bei ihren Studien. Neben der Bibel lag eine schmale, in Leder gebundene Schrift.
    «Eine deutsche Theologia, herausgegeben und mit einer Vorrede versehen von Doctor Martinus Luther», las Marie mit halblauter Stimme. Sie war mehr als überrascht. Dann gab es also nicht nur aufrührerische Bürger, Pfarrer und Bauern, die Luthers Lehren folgten! Dabei konnte doch bereits eine auf Deutsch gehaltene Messe einem Pfarrer den Kopf kosten.
    Sabina sah sie nicht minder erstaunt an. «Du kannst lesen?»
    «Ja. Der Pfarrer in meinem Dorf hat es mir beigebracht.»
    Allein bei diesen Worten krampfte sich Maries Herz wieder schmerzhaft
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