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Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
Autoren: Claire Bouvier
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und von beinahe allen Frauen bewundert. Sein Wort galt; allerdings war er auch kein Unmensch und achtete die Bedürfnisse seiner Leute. »Die Männer haben schon lange nicht mehr so viele Frauen auf einem Haufen gesehen. Es grenzt doch schon an ein Wunder, dass sie sich so wacker auf den Beinen halten und nicht vor lauter Staunen aus den Stiefeln kippen.«
    Wie zur Bestätigung reckten einige von ihnen die Hälse. Ihre Blicke trafen auch Marie, die allerdings nicht vorhatte, sich weiter zu entblößen. Sie wusch sich rasch Gesicht, Hände und Füße und versuchte, das Plappern der Frauen in ihrer Nähe auszublenden.
    Ihre Kameradinnen schienen nichts daran zu finden, dass die Männer einen Blick auf ihre nackten Beine und ihre Unterwäsche werfen konnten. Ungeniert bespritzten sie sich mit Wasser, sodass Marie nichts weiter übrig blieb, als ein Stück von ihnen abzurücken.
    »Ich habe mir sagen lassen, dass die Kerle hier zwar ziemlich ausgehungert sind, dafür aber mächtig schüchtern«, vernahm sie auf der anderen Seite die Stimme der robusten Elisabeth Meyerfeld, die von allen nur Betty genannt wurde und deren Mieder ihre beträchtliche Oberweite kaum zu bändigen vermochte. »Wie gut, dass auf uns bereits Männer warten. Ehe diese Kerle hier uns fragen, sind wir vertrocknet.«
    »Ja, aber wer weiß, was man uns da angedreht hat«, wandte Lisa ein, für die die Ehe mit einem kanadischen Farmer die zweite sein würde. »Am Ende sind es alte Kerle, bei denen das Ehebett kalt bleibt.«
    Schockiert schnappte Marie nach Luft und versuchte, ihre Schamesröte mit einem kräftigen Wasserguss ein wenig zu mildern. Wieder einmal fühlte sie sich deplatziert unter den Frauen, die redeten, wie ihnen der Schnabel gewachsen war. Wie sie recht schnell herausgefunden hatte, konnten die wenigsten von ihnen lesen und schreiben. Die meisten stammten aus recht ärmlichen Verhältnissen und versprachen sich von dieser Reise eine bessere Zukunft.
    Und was verspreche ich mir von meinem weiteren Leben?, fragte sie sich, während sie sich das Gesicht mit dem Saum ihres Unterrocks abtrocknete. Nur einen Mann, der für mich sorgt? Oder doch noch etwas anderes?
    Bei der Vorbereitung für die Ausreise hatte sie gehört, dass Frauen hier auch einem Beruf nachgehen konnten. Groß war ihre Freude gewesen, als sie hörte, dass man für sie einen gebildeten Mann ausgesucht hatte, einen, der mit Büchern etwas anfangen konnte und sicher kultiviert genug war, um nicht wie ein ausgehungerter Wolf über sie herzufallen. Und der ihr vielleicht erlaubte, ihrem früheren Beruf nachzugehen.
    Jemand tippte ihr auf die Schulter. Erschrocken wandte sich Marie um. Auf dem Gesicht von Ella Wagner, mit der sie sich während der Überfahrt angefreundet hatte, breitete sich ein schadenfrohes Lächeln aus.
    »Hab ich dich erschreckt?«
    »Ein bisschen«, gab Marie zu, während sie ihre Röcke wieder ordnete.
    »Wie war deine Nacht?«, fragte Ella, die nun ihrerseits mit hochgerafftem Rock ins Wasser stieg. »Ich hab dich im Wagen rumoren gehört.«
    »Ich bin gegen Mitternacht wach geworden und konnte nicht mehr einschlafen.« Dass sie die Zeit genutzt hatte, um ihr Tagebuch zu führen, verschwieg Marie.
    Mit geübten Griffen öffnete sie ihren Zopf und kämmte ihr Haar mit den Fingern durch, bevor sie es wieder zusammenflocht.
    »Dafür, dass du kaum Schlaf bekommen hast, siehst du aber ganz gut aus«, entgegnete Ella bewundernd; dann schweifte ihr Blick hinüber zu den Wagen, wo die Männer zwar immer noch standen, aber jetzt eine Predigt von Reverend Willoghby zu hören bekamen. »Ein paar von den Männern sollen angeblich über dich reden.«
    Marie zog die Augenbrauen hoch. Obwohl sie es eigentlich nicht wollte, blickte sie hinüber zu den Burschen, die gerade wieder von dem Geistlichen in die Mangel genommen wurden.
    »Über mich? Wer erzählt denn so was?«
    »Ja, über dich«, bestätigte Ella, während sie ihre dunklen Locken löste und über die Schultern schüttelte. Damit wäre wohl eher sie Gesprächsstoff für die Treckbegleiter, ging es Marie durch den Kopf, während sie sie beobachtete. Der mit ihr verlobte Warenhausbesitzer konnte sich glücklich schätzen, eine solche Frau zu bekommen. »Elisabeth hat es erzählt.«
    »Sie hat sich bestimmt verhört!«, winkte Marie verlegen ab. »Du weißt es doch selbst, ihr Englisch ist nicht besonders gut.«
    »Aber dafür reicht es, glaube ich.« Ella kicherte schadenfroh, als sie sah, dass sich Maries
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