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Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
Autoren: Claire Bouvier
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möglichen Märchen und überzeugte uns zuweilen davon, dass es die genannten Wesen wirklich gab, was uns dazu brachte, nachts aus dem Haus zu schleichen und nachzuprüfen, ob wirklich Wichtel in unserem Garten lebten und Feen über den Wasserpfützen tanzten.
    Eines Nachts hockten wir unter einem Fliederbusch nahe beim Haus. In meinem Eifer, eine Fee zu sehen, hatte ich mir keine Jacke übergezogen, und auch Peter war dermaßen von Erwartung erhitzt, dass er nur seine Hose über das Nachthemd gezogen hatte. Zähneklappernd schmiegte ich mich an ihn, während wir Stunde um Stunde in unserem Versteck verharrten. Die Kälte der Frühlingsnacht durchdrang mich völlig, und schon bald hatte ich das Gefühl, zu einem Eiszapfen zu erstarren. Aber die Hoffnung, dass die Fee doch noch kommen könnte, ließ mich aushalten. Außerdem wollte ich gegenüber meinem Bruder, der ohnehin schon von seinen Spielkameraden geneckt wurde, dass seine Schwester ihm ständig am Jackenzipfel hing, nicht schwach erscheinen.
    Je weiter sich der Morgen näherte, desto enttäuschter wurden wir, denn die Fee blieb aus, und es erschienen auch keine Wichtel oder Zwerge. Als wir uns am Morgen in unsere Betten verkrochen, fühlte ich mich krank. Tatsächlich wurde ich nur einen Tag später von einer furchtbaren Erkältung heimgesucht. Die Fieberträume zeigten mir tatsächlich tanzende Elfen, und erst viel später erfuhr ich, dass ich in jenen Nächten dem Tode nahe gewesen war. Peter war darüber so zerknirscht, dass er sich nicht nur weigerte, von meinem Krankenlager zu weichen – als ich wieder genesen war, schenkte er mir seinen schönsten Zinnsoldaten, einen mit blau-goldener Jacke und blauem Barett. Auch wenn er später in Vergessenheit geriet, trug ich die liebevolle Geste, die dahintersteckte, stets in meinem Herzen.

2. Kapitel

    Marie schreckte hoch, als der Planwagen zum Stehen kam. Erstaunt stellte sie fest, dass sie sich nicht mehr im Wald befanden, sondern auf einer weiten Ebene, die nur an den Rändern von einem dunkelgrünen Waldband gesäumt wurde. Die Nacht war von einem strahlenden Morgen vertrieben worden.
    Mein Tagebuch! Erschrocken tastete sie neben sich und atmete auf, als sie die Kladde unter ihren Fingern spürte. Kurz nach Beendigung ihrer Niederschrift musste sie eingeschlafen sein. Der Bleistift war ein Stück durch den Wagen gerollt, bis er von Ellas Gepäck gestoppt worden war.
    Marie steckte ihn in die Tasche und verstaute die Kladde unter ihrem abgewetzten Korsett, das in den vergangenen Wochen um einiges lockerer geworden war. Obwohl das Buch hart gegen ihre Rippen drückte, dachte sie nicht daran, es im Wagen zurückzulassen. Sie kannte die weibliche Neugier nur zu gut. Auch wenn sie Ella gut leiden mochte, traute sie ihr doch zu, sich für Dinge zu interessieren, die sie nichts angingen.
    Nachdem sie das Korsett zurechtgezogen hatte, kletterte sie aus dem Wagen und strebte dem Wasserloch zu, das beinahe die Größe eines Sees hatte. Malerisch spiegelte sich der rosafarbene, leicht bewölkte Morgenhimmel in den dunklen Fluten, als die ersten Frauen mit hochgezogenen Röcken aufjuchzend hineinwateten.
    Marie reckte sich und atmete dabei tief die Morgenluft ein. Neben dem sumpfigen Geruch des Wassers nahm sie auch eine Spur von Tannenharz, Gras und Blüten wahr. Flügelschlagen lenkte ihren Blick auf die kleine Wiese neben dem Wasserloch. Die Tauben, die von dort aufgeflattert waren, kreisten kurz über dem See und verschwanden dann im Wald. Die Blumen, die in der Nähe des Wasserloches einen Großteil des Bodens überwucherten, ähnelten den Lupinen, die es zu Hause an jedem Wegrand gab. Leuchtend rot wie kleine Flammen wiegten sie sich sanft in der Morgenbrise.
    Zögernd zog Marie ihren Rock hoch und trat ebenfalls ins Wasser. Als sich ihre Beine an die Kälte gewöhnt hatten, bemerkte sie ein paar Männer hinter den Wagen, Treckbegleiter, die für ihre Sicherheit sorgten. Reverend Willoghby, der Geistliche, der den Treck begleitete, hatte Mühe, die bunt zusammengewürfelte Truppe davon abzuhalten, neugierig nach den Frauen zu spähen.
    »Meine Herren!«, wetterte er, während er wie ein General vor ihnen auf und ab schritt. »Wenn unkeusche Gedanken Sie plagen, sollten Sie an das Wort des Herrn denken!«
    »Sie müssen es ihnen nachsehen, Reverend«, sagte Angus Johnston begütigend, der sich jetzt zu ihnen gesellte. Der Treckchief, ein grobknochiger, stämmiger Schotte, wurde von seiner Mannschaft hoch geschätzt
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