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Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
Autoren: Claire Bouvier
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gesehen, die man nicht brechen durfte. Gefühle hatten damit wenig zu tun. Die romantische Vorstellung, dass der fremde Mann, der ihr die Reise bezahlte, ihre große Liebe sein würde, hatte sie sich von vornherein aus dem Kopf geschlagen.
    »Das ist nicht dein Ernst!«, flüsterte Ella entrüstet. »Sag bloß, du hast dir noch nie den Mann vorgestellt, den du eines Tages heiraten willst. Und ich meine nicht deinen Verlobten aus der Annonce.«
    »Nein, das habe ich tatsächlich nicht«, entgegnete Marie. »Bisher habe ich nur für meine Arbeit gelebt. Es wird nicht gern gesehen, wenn Lehrerinnen heiraten; meist bedeutet es, dass sie ihre Arbeit aufgeben müssen.«
    »Dann wolltest du also eigentlich gar nicht heiraten? Wieso hast du dich dann auf die Anzeige gemeldet?«
    »Ich wollte heiraten«, entgegnete Marie, die Ella nicht von ihrem Bruder und den Vorfällen in ihrem Elternhaus erzählt hatte. »Und ich wollte ein neues Leben anfangen.«
    »Und deine Arbeit? Willst du nicht wieder unterrichten?«
    »Natürlich! Wenn es mir mein Mann erlaubt.«
    »Glaubst du wirklich, das wird er tun? Du wirst dich um seinen Haushalt kümmern und seine Brut großziehen müssen. Das kannst du nicht, wenn du dich um die Kinder anderer Leute kümmerst.«
    Auf einmal kam sich Marie vor, als hätte sie einen dicken Stein im Magen. Auch Vater hielt nichts davon, dass ich arbeiten gehe, ging es ihr durch den Sinn.
    Doch dieser Reverend war jung. Und er war nicht ihr Vater.

4. Kapitel

    Kurz vor Einbruch der Dunkelheit begannen die Männer mit dem Vorbereiten eines Lagerfeuers. Wie alle anderen Frauen suchte auch Marie im nahen Wald nach brauchbarem Holz. Hin und wieder beobachtete sie dabei Eidechsen oder Eichhörnchen, die sich durch ihre graue Fellfarbe deutlich von ihren europäischen Artgenossen unterschieden. Unweit von ihr murmelten einige Frauen etwas von Bären und Wölfen, vor denen man sich in Acht nehmen sollte. Doch die Frauen und Männer vom Treck machten offenbar genug Lärm, um die gefährlichen Braunpelze fernzuhalten.
    Als genug Kleinholz vorhanden war, wurde es aufgeschichtet und angezündet. Schon bald wehte der Kaffeeduft über dem Lager, und als zwei Männer mit einer jungen Hirschkuh auftauchten, brach beinahe der gesamte Treck in Jubel aus. Gehäutet und mit Wildkräutern gewürzt briet das Tier bald über dem Feuer.
    Zum ersten Mal seit Langem fühlte sich Marie rundherum wohl. Der Kaffee und das Fleisch stärkten ihre Lebensgeister, und das Geschwätz der Frauen und die Gesprächsfetzen der Männer vertrieben die Gedanken für eine Weile. Sie erfreute sich am Knistern des Holzes, den Figuren, die die Flammen bildeten, und den hin und wieder aufstiebenden Funken, die für einen kurzen Moment über der Feuerstelle schwebten.
    Als die Dunkelheit hereinbrach und die meisten Frauen sich zu Bett begaben, blieb Marie noch ein Weilchen bei den Resten des Lagerfeuers sitzen und beobachtete, wie die Abendbrise ein paar Ascheflöckchen vom verkohlten Holz wehte. Dabei dachte sie über das nach, was Ella gesagt hatte.
    »Sie sprechen ein sehr gutes Englisch«, tönte es von der Seite.
    Als Marie herumfuhr, erkannte sie Mr Johnston. Jetzt, wo er keinen Hut trug, bemerkte sie, dass sich sein rotbraunes Haar ein wenig wellte. Es war für Männer nicht mehr in Mode, die Haare länger als bis kurz über dem Ohr zu tragen, doch Johnston würde mit langen Haaren sicher umwerfend aussehen. Wie ein Ritter aus einer der alten Sagen, dachte Marie und war froh, dass die Dunkelheit ihr Erröten etwas abschwächte.
    »Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen«, antwortete sie unbeabsichtigt ein wenig steif. »Ich hatte das Glück, es während meiner Ausbildung zu lernen.«
    »Ihr Lehrer hat einen guten Job gemacht. In meiner Heimat lernen nur sehr reiche Leute Fremdsprachen.«
    Marie zögerte. Sollte sie ihm etwas über sich erzählen? Immerhin würde er sie nur einige Wochen begleiten. »Mein Vater hat mich aufs Lyzeum geschickt. Tatsächlich ungewöhnlich, aber er …« Sie stockte. Den Grund, weshalb er sie allein in die Fremde geschickt hatte, brauchte er nicht zu wissen.
    »Er wollte, dass aus seiner Tochter etwas wird«, beantwortete Johnston die Frage an ihrer Stelle. Die Güte in seinem Blick ließ Maries Augen plötzlich feucht werden. Wären die Beweggründe ihres Vaters nur halb so edel gewesen, wie Johnston vermutete, wäre sie vermutlich nicht hier.
    »Setzen Sie sich doch ein bisschen zu mir«, sagte sie, klopfte neben
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