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Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen
Autoren: Val McDermid
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verzichten. Sie können mich ja am Stadtrand absetzen, wenn Sie nicht dabei gesehen werden wollen, wie Sie sich mit einem dieser supermodernen Spinner fraternisieren.« Brandon lächelte, und sein langes Gesicht verzog sich in tausend Fältchen. »Ich glaube nicht, daß das erforderlich sein wird. Ich setze Sie ebenso gern vor der Polizeizentrale ab.« Er trat zurück und sah zu, wie Rasmussen, weiterhin unter großem Getue, Tony zum Ausgang dirigierte. Die leichte Verwirrung, die der Psychologe bei ihm hervorgerufen hatte, konnte er nicht abschütteln. Vielleicht lag es einfach nur daran, daß er es so gewohnt war, alles in seiner Welt fest unter Kontrolle zu haben, daß eine Bitte um Hilfe zu einer fremden Erfahrung für ihn geworden war, die ihn sich automatisch verwirrt fühlen ließ. Es gab keine andere einleuchtende Erklärung. Er zuckte mit den Schultern und folgte den anderen in die Cafeteria.
     
    Tony legte den Gurt an und genoß die Bequemlichkeit des nicht als Polizeifahrzeug gekennzeichneten Range Rovers. Er sagte nichts, während Brandon vom Parkplatz der Polizeizentrale von Manchester und dann in Richtung Autobahn fuhr, denn es erforderte äußerste Konzentration, aus dieser nicht vertrauten Stadt wieder herauszufinden. Als Brandon sich dann in den schnell dahinfließenden Fahrzeugstrom des Autobahnzubringers eingeordnet hatte, brach Tony das Schweigen. »Wenn es hilfreich ist – ich glaube, ich weiß, worüber Sie mit mir reden wollen.«
    Brandons Hände schlossen sich fester um das Lenkrad. »Ich dachte, Sie wären Psychologe und nicht Hellseher«, scherzte er, was ihn selbst überraschte. Humor gehörte nicht zu seinen Stärken. Er konnte sich nicht damit abfinden, wie nervös es ihn machte, um Hilfe bitten zu müssen.
    »Einige Ihrer Kollegen würden mich mehr beachten, wenn ich Hellseher wäre«, erwiderte Tony sarkastisch. »Also, wollen Sie mich raten und das Risiko eingehen lassen, daß ich mich unsterblich blamiere?«
    Brandon warf Tony einen schnellen Blick zu. Der Psychologe wirkte entspannt, hatte die Handflächen auf die Oberschenkel gelegt und die ausgestreckten Beine unten gekreuzt. Er machte den Eindruck, als würde er sich in Jeans und Pullover wohler fühlen als in dem Anzug, den er gerade trug, und dem selbst Brandon ansah, daß er längst aus der Mode war. Er konnte sich diese Einschätzung erlauben, weil er sich nur daran zu erinnern brauchte, wie seine Töchter seine formelle Zivilkleidung regelmäßig mit vernichtenden Kommentaren bedachten. »Ich glaube, in Bradfield ist ein Serienmörder am Werk«, sagte er abrupt.
    Tony stieß einen leisen, zufriedenen Seufzer aus. »Ich fing schon an mich zu fragen, ob Sie das nicht auch langsam bemerken würden«, entgegnete er ironisch.
    »Das ist aber keinesfalls eine einhellige Auffassung«, fügte Brandon hinzu. Er meinte Tony warnen zu müssen, noch ehe er ihn um Hilfe bat.
    »Das ergibt sich schon allein aus den Berichten in den Medien«, sagte Tony. »Wenn es ein Trost für Sie ist – ich bin nach allem, was ich darüber gehört und gelesen habe, absolut sicher, daß Ihre Beurteilung zutrifft.«
    »Oh, das deckt sich aber nicht ganz mit dem Eindruck, den ich aus Ihrer Stellungnahme in der
Sentinel Times
nach dem letzten Mord gewonnen habe.«
    »Es gehört unabdingbar zu meinem Job, mit der Polizei zu kooperieren, nicht ihre Arbeit zu unterminieren. Ich nehme an, Sie hatten ganz bestimmte taktische Gründe, mit Ihrer Serienmörder-Theorie nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich meinerseits habe den Verantwortlichen gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß meine Beurteilung nichts weiter als eine sachlich begründete Vermutung ist, die sich auf die allgemein zugänglichen Informationen stützt«, fügte Tony hinzu, wobei sein gleichbleibend freundlicher Ton im Widerspruch zu der Tatsache stand, daß er plötzlich seine Finger in den Stoff seiner Hosenbeine krallte und damit längliche Falten erzeugte.
    »Touché! Sind Sie denn nun daran interessiert, uns zu unterstützen?«
    Tony spürte eine warme Welle der Befriedigung in sich aufsteigen. Das war es, was er nun seit Wochen herbeigesehnt hatte …
    »Ein paar Meilen weiter ist eine Raststätte. Hätten Sie nicht Lust auf eine Tasse Tee?«
     
    Detective Inspector Carol Jordan starrte auf das zerfetzte Fleischbündel, das einmal ein Mann gewesen war, und sie zwang ihre Augen ganz bewußt dazu, sich nicht darauf zu konzentrieren. Sie wünschte, sie hätte das vertrocknete
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