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Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen
Autoren: Val McDermid
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Stück in eine Seitenstraße, wo die mir inzwischen bekannten rot-goldenen Plakate in großer Zahl die alten Hauswände zierten. Aufregung summte in meinem Inneren wie ein blutgieriger Moskito, als ich das kühle Foyer des Museums betrat und mir, äußerlich gelassen, die Eintrittskarte und den auf Hochglanzpapier gedruckten, reich illustrierten Museumsführer kaufte.
    Wie soll ich dieses Erlebnis schildern? Die physische Realität war überwältigend, weitaus beeindruckender, als ich durch Fotos oder Videos oder Bücher darauf vorbereitet war. Das erste Ausstellungsstück war eine Streckbank, und das Hinweisschild beschrieb ihre Funktion auf italienisch und englisch in liebenswertem Detail. Schultern ruckten aus ihren Gelenkpfannen, Hüft- und Kniegelenke zerplatzten zum Geräusch zerfetzender Sehnen und Bänder, Wirbelsäulen dehnten sich aus ihrer Verankerung, bis die einzelnen Wirbel wie Perlen von einer defekten Schnur auseinanderrissen. »Die Opfer«, verkündete das Hinweisschild lakonisch, »waren nach der Behandlung auf der Streckbank meist zwischen fünfzehn und dreiundzwanzig Zentimeter länger als vorher.« Wie außergewöhnlich phantasievoll diese Inquisitoren doch waren. Es genügte ihnen nicht, ihre Ketzer peinlich zu befragen, solange sie noch lebten und qualvoll litten, nein, sie mußten auch noch in den verstümmelten Leichen nach weiteren Antworten suchen.
    Die Ausstellung war ein Denkmal für die Genialität des Menschen. Man mußte diese Geister bewundern, die den menschlichen Körper so gründlich studiert hatten, daß sie sich solch auserlesene und feinstens abgestimmte Leidensprozesse ausdenken konnten. Trotz ihrer noch verhältnismäßig gering entwickelten Technologie waren diese mittelalterlichen Gehirne in der Lage, derart raffinierte Folterungssysteme zu ersinnen, daß sie heute noch angewendet werden. Es scheint, daß die einzige Verbesserung, die unsere moderne postindustrielle Gesellschaft hervorgebracht hat, in der zusätzlichen Anwendung der Elektrizität besteht.
    Ich ging durch die Räume, genoß jedes einzelne Ausstellungsstück, von den dicken Eisenstacheln der Eisernen Jungfrau bis zum subtileren und äußerst eleganten Mechanismus der Lochbirnen, diesen schmalen, aus Einzelsegmenten zusammengesetzten eiförmigen Gebilden, die in die Vagina oder den Anus eingeführt werden. Wenn dann eine Sperrklinke gelöst und das Gerät gedreht wurde, glitten die einzelnen Segmente auseinander und spreizten sich nach außen, bis die Birne eine Metamorphose durchgemacht und sich in eine exotische Blume verwandelt hatte, deren Blütenblätter an den Rändern rasiermesserscharfe Metallzähne aufwiesen. Dann zog man das Gerät heraus. Manchmal überlebten die Opfer, was wahrscheinlich das grausamere Schicksal war.
    Ich bemerkte das Unbehagen und das Entsetzen auf den Gesichtern und in den Stimmen einiger anderer Besucher, aber ich erkannte es sofort als Heuchelei. Insgeheim genossen sie jede Minute hier, aber die bürgerliche Ehrbarkeit verbot ihnen jegliches Eingeständnis ihrer inneren Erregung. Nur die Kinder waren ehrlich in ihrer begeisterten Faszination. Ich hätte liebend gern gewettet, daß ich keinesfalls die einzige Person in diesen kühlen pastellfarbenen Räumen war, die das Aufwallen sexueller Erregung zwischen den Beinen verspürte, während wir die Ausstellungsstücke gierig in uns aufnahmen. Ich habe mich oft gefragt, wie viele Sexakte während des Urlaubs durch die heimliche Erinnerung an das Foltermuseum gewürzt wurden.
    Draußen im sonnendurchfluteten Innenhof kauerte ein Skelett in einem Käfig, die Knochen so sauber, als wären sie von Geiern abgenagt worden. In den Tagen, als die Türme noch herrisch San Gimignano überragten, waren Käfige mit solchem Inhalt an die Außenseite der Stadtmauer gehängt worden als Botschaft an die Einwohner wie an Fremde gleichermaßen, daß dies eine Stadt war, in der das Gesetz harte Strafen für diejenigen vorsah, die es nicht beachteten. Ich spürte eine seltsame Verwandtschaft mit diesen Bürgern. Auch ich respektiere die Notwendigkeit der Bestrafung nach einem Treuebruch.
    In der Nähe des Skeletts lehnte ein großes, eisenbeschlagenes Speichenrad an der Mauer. Es wäre eher in einem landwirtschaftlichen Museum am richtigen Platz gewesen. Aber das Schild an der Wand dahinter wies auf eine phantasievollere Verwendung hin. Verbrecher wurden auf das Rad gebunden. Als erstes wurden sie gegeißelt, und zwar mit Peitschen, versehen mit
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