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Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen
Autoren: Val McDermid
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er antwortete. »Noch fünf Minuten, Karen«, rief er. »Tut mir leid.« In einem Haus mit drei Teenagern und einem Badezimmer konnte man es sich nur selten leisten, grübelnd die Zeit zu vertrödeln.
     
    Carol Jordan stellte die noch halbvolle Kaffeetasse auf den Rand des Waschbeckens und wollte in die Dusche steigen, stolperte aber über die schwarze Katze, die um ihre Knöchel strich. »Nur ein paar Minuten, Nelson«, murmelte sie als Antwort auf sein fragendes Miauen, als sie es dann doch geschafft hatte und die Gleittür der Dusche zuschob. »Und weck bloß Michael nicht auf.«
    Carol hatte sich vorgestellt, daß die Beförderung zum Detective Inspector und die damit verbundene Entlassung aus dem Turnus des Schichtdienstes ihr zu den regelmäßigen acht Stunden Schlaf verhelfen würden, die seit dem Eintritt in den Polizeidienst ihre große Sehnsucht gewesen waren. Aber sie hatte das Pech gehabt, daß ihre Beförderung mit dem, was ihr Team inoffiziell die »Schwulenmorde« nannte, zusammenfiel. Wie oft Superintendent Tom Cross den Medien gegenüber und in den Büroräumen des Morddezernats auch prahlte, es gäbe keine forensisch nachweisbaren Verbindungen zwischen den Morden und keinerlei Anlaß zu der Vermutung, ein Serienkiller treibe sein Unwesen in Bradfield, die Teams der Mordkommission waren da anderer Meinung.
    Als das warme Wasser über Carol strömte und ihr blondes Haar eine mausgraue Farbe annahm, dachte sie – und nicht zum erstenmal –, daß Cross’ Haltung, ebenso wie die des Chief Constable, eher seinen Vorurteilen entsprang, als daß sie für die Allgemeinheit dienlich war. Je länger er leugnete, daß da ein Serienmörder umging, der Männer tötete, die hinter einer ehrbaren Fassade ein heimliches Homosexuellenleben verbargen, um so mehr schwule Männer würden sterben. Wenn man sie nicht mehr von der Straße bekommen konnte, indem man sie einsperrte, dann sollte doch ein Mörder sie aus dem Verkehr ziehen. Es spielte im Grunde keine Rolle, ob ihm das durch Mord gelang oder dadurch, daß er sie von ihrem Tun abbrachte, indem er ihnen Angst einjagte.
    Das war eine Taktik, welche alle Arbeit, die Carol und ihre Kollegen in die Untersuchung steckten, ad absurdum führte, ganz zu schweigen von den Hunderttausenden von Pfund, die diese Untersuchungen den Steuerzahler kosteten, vor allem, weil Cross darauf bestand, daß jeder Mord als ein völlig von den anderen getrennter Fall zu behandeln war. Jedesmal, wenn eines der drei Teams auf Details stieß, die die Fälle miteinander in Verbindung zu bringen schienen, wies Cross sie mit fünf Punkten, die seiner Meinung nach dagegen sprachen, zurück. Es spielte keine Rolle, daß die Gemeinsamkeiten jedesmal andere waren und Cross’ Gegenargumente stets aus denselben ermüdenden fünf Punkten bestanden. Cross war der Boß. Und sein Stellvertreter, der Deputy Chief Inspector, hatte den Entschluß gefaßt, dem Streit zu entgehen, indem er sich mit seinen für solche Fälle reservierten »Rückenbeschwerden« in Krankenurlaub abgemeldet hatte.
    Carol schüttelte unter dem warmen Wasserstrahl die letzte Schläfrigkeit ab. Der von ihr eingeschlagene Kurs bei der Untersuchung würde am Felsen von Popeye Cross’ bigotter Voreingenommenheit nicht stranden. Selbst wenn einige der jüngeren Polizeibeamten dazu neigten, sich – als Ausrede für ihren mangelnden eigenen Einsatz bei den Untersuchungen – der einseitigen Ansicht des Bosses anzuschließen, sie, Carol Jordan, würde sich stets zu hundert Prozent engagieren, und zwar in die richtige Richtung. Sie hatte sich nun fast neun Jahre im Dienst die Hacken abgelaufen, zunächst mit dem Ziel, einen verantwortlichen Dienstgrad zu erreichen, und dann, um den erkämpften Sitz im Schnellzug der Beförderungen auch zu rechtfertigen. Sie hatte nicht die Absicht, ihre Karriere auf einen Prellbock auflaufen zu lassen, nur weil sie den Fehler begangen hatte, sich einer Abteilung von Neandertalern anzuschließen.
    Carol hatte ihren Entschluß gefaßt, und sie stieg mit gestrafften Schultern und einem trotzigen Blick in den grünen Augen aus der Dusche. »Komm, Nelson«, sagte sie, schlüpfte in ihren Morgenmantel und nahm das Muskelbündel im schwarzen Fell auf den Arm. »Komm, Junge, jetzt kriegst du dein Frühstück aus schönem rotem Fleisch.«
     
    Tony drehte sich um und schaute noch einmal für letzte fünf Sekunden auf das Folienbild auf der Leinwand hinter sich. Da die Mehrheit der Zuhörer das
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