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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege
Autoren: Ricarda Martin
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wenn ich dich kriege, fessle und skalpiere ich dich …«
    Mit einem Lächeln ging Susan zurück in die Küche. Ein junges, etwas dickliches, schwarzhäutiges Mädchen stand, beide Arme bis zum Ellbogen in einer Schüssel mit goldgelbem Teig, an dem großen Tisch und schmunzelte.
    »Irgendwie sind sie süß, die beiden Rangen.«
    Susan seufzte, aber aus ihren Augen blitzte der Schalk, und sie nickte. Mit einem Blick auf den Teig sagte sie: »Wenn du den Kuchen im Ofen hast, kannst du gehen, Daisy. Du hast die nächsten zwei Tage frei.«
    »Aber Mrs. Draycott, die ganze Arbeit.« Das Dienstmädchen riss die Augen weit auf. »Es gibt noch so viel vorzubereiten für das Essen morgen und dann der ganze Abwasch …«
    »Kann warten.« Susan winkte ab, trat zum Herd und öffnete den Deckel eines großen Topfes, aus dem es verführerisch nach Hühnersuppe duftete.
    »Heute gibt es nur Suppe, und den Rest für morgen mache ich schon. Du weißt doch, dass ich gerne koche. Außerdem wird an Ostern nur die Familie hier sein, da geht es etwas legerer zu.« Sie sah Daisy fragend an. »Du hast das Gästezimmer geputzt und die Betten bezogen?«
    Das Mädchen nickte. »Es ist alles vorbereitet, Mistress. Das Kinderbett habe ich ins Gästezimmer gestellt, denn die junge Mrs. Draycott meinte am Telefon, der kleine Henry würde bei seinen Eltern schlafen.«
    Beim Namen ihres Enkels wurde es Susan warm ums Herz. Seit fünf Wochen hatte sie Henry nicht mehr gesehen, und der Kleine würde wieder ein Stück gewachsen sein. Jetzt war er bald ein Jahr alt, und bei ihrem letzten Besuch hatte Jimmy ihr augenzwinkernd versichert, er und Harriet wünschten sich bald ein zweites Kind und ließen nichts unversucht, damit dieser Wunsch bald in Erfüllung gehen würde.
    Jimmy … Susans Gedanken eilten in die Vergangenheit. Nach ihrer Ankunft in Amerika hatte Daniel sofort alles in die Wege geleitet, um den Jungen zu adoptieren und Jimmy seinen Namen zu geben. Ihr Sohn hatte sich überraschend schnell in Boston eingelebt, rasch neue Freunde gefunden und war ein guter Schüler geworden. Er beendete die Highschool als Jahrgangsbester, und Susan war mehr als überrascht, als er den Wunsch äußerte, Archäologie studieren zu wollen. Susan hatte keine Ahnung, woher das plötzliche Interesse Jimmys am Altertum kam, aber sie und Daniel hatten ihm keine Steine in den Weg gelegt. Er absolvierte sein Studium an der renommierten Universität von Harvard in der Mindestzeit, danach reiste er viel, hauptsächlich nach Ägypten, denn die Pharaonen und deren Baudenkmäler hatten es ihm besonders angetan, und seit nunmehr zwei Jahren hatte er einen Lehrstuhl für Archäologie in Harvard und arbeitete auf seine Professur hin. Susan schmunzelte, wenn sie an Jimmys Karriere dachte. Der Sohn einer Fischverkäuferin und eines Diebes und Betrügers als künftiger Professor – das gab es nur in den Vereinigten Staaten. Hier zählte nicht, woher man kam, unter welchem Dach man geboren war und was die Eltern geleistet oder getan hatten. Nein, in Amerika konnte es jeder zu etwas bringen, der intelligent und fleißig war. Wenn Susan über Jimmy sprach, machte sie keinen Hehl aus ihrem Stolz.
    Kurz nach seiner Festanstellung an der Universität lernte Jimmy die bezaubernde Studentin Harriet kennen und lieben. Da Jimmy inzwischen genügend verdiente, um eine Familie ernähren zu können, heirateten sie bereits nach vier Monaten, und ihre Liebe wurde durch die Geburt Henrys gekrönt. Obwohl sie und Jimmys Familie nicht weit voneinander entfernt wohnten, mit dem Auto war es nur eine knappe halbe Stunde, fand Susan, sie sahen sich viel zu selten. Das war wahrscheinlich ein typisches Großmutter-Verhalten, die ihren Enkel am liebsten jeden Tag um sich gehabt hätte.
    Susan kam an einem Spiegel im Flur vorbei und warf einen Blick hinein. Großmutter … Sie war jetzt sechsundvierzig Jahre alt, und es war unvermeidlich, dass sich erste graue Strähnen in ihrem Haar und feine Linien in ihren Augenwinkeln zeigten. Trotz der Geburt der Zwillinge vor neun Jahren hatte Susan ihre schlanke, grazile Figur behalten, um die sie von den meisten Frauen in ihrem Bekanntenkreis beneidet wurde.
    Die Haustür klappte, und Susan riss ihren Blick vom Spiegel los. Mit einem Lächeln trat Daniel zu ihr und küsste sie auf den Mund.
    »Die nächsten zwei Tage gehören ganz der Familie«, sagte er und stellte seine Aktentasche ab. »Es ist Ostern, und die Verbrecher müssen eben mal
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