Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege
Autoren: Ricarda Martin
Vom Netzwerk:
Lavinia in den letzten Jahren etwas … seltsam gewesen war, hängt Anabell mit zärtlicher Liebe an ihr. Nun, du hast es mitbekommen – sobald Lavinia bei Anabell war, ging es dem Kind gleich viel besser.« Rosalind drückte Susan einen Brief in die Hand. »Den soll ich dir von Lavinia geben.«
    Susan nickte, bemüht, den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken. Sie konnte jedoch nicht verhindern, dass ihre Augen feucht wurden. Schnell umarmte sie erst Rosalind, dann Anabell. Zärtlich küsste sie das Mädchen auf den Scheitel ihres lockigen Haars und sog tief ihren Duft ein. Es war das Letzte, was sie von Anabell mit sich nehmen konnte.
    »Also, es wird Zeit.« Sie nahm Daniels Hand, der ihr beim Einsteigen behilflich war. »Ich sage nicht adieu, sondern auf Wiedersehen. Ihr wisst, ihr seid uns in Boston immer willkommen.«
    Rosalind nickte, aber Susan wusste, dass die Freundin keine so weite Reise unternehmen und niemals wieder ein Schiff betreten würde. Sie würde Rosalind und Anabell niemals wiedersehen.
     
    Kurz auf die Hupe drückend, fuhr Daniel den Talland Hill hinab, vorbei am Hafen und The Coombe hinauf zur Crumplehorn Mill, wo sie in die Hauptstraße einbogen. Susan blickte nicht zurück.
    Mit einer Hand tastete Daniel nach ihrem Oberschenkel.
    »Was steht in dem Brief?«
    Mit dem Fingernagel ritzte Susan den Umschlag auf, heraus fiel nur ein Blatt mit den Worten
    Danke! Das werde ich Ihnen niemals vergessen.
    »Sie ist eine gute Mutter«, flüsterte Susan, damit Jimmy, der auf dem Rücksitz saß, sie nicht hören konnte. »Eine viel bessere, als ich es jemals sein könnte.«
    Daniel warf ihr einen raschen Seitenblick zu.
    »Wir haben gekämpft und gewonnen, letzten Endes aber doch verloren. Ich bewundere dich für deine Entscheidung.«
    Susan starrte durch die Windschutzscheibe auf die gewundene, schmale Straße. Obwohl sie wusste, dass sie die einzig richtige Entscheidung getroffen hatte – Anabell bei der Frau zu lassen, die sie als Mutter kannte und liebte, und das Kind nicht aus ihrer gewohnten Umgebung zu reißen –, war sich Susan bewusst, dass sie Anabell niemals vergessen würde. Es wäre grausam gewesen, Anabell nun mit der Wahrheit zu konfrontieren und ihr Leben zu zerstören.
    Dennoch war und blieb Anabell ihr Kind. Ein Kind, das Susan niemals vergessen würde.
    Solange sie lebte, nicht.

[home]
    Epilog
    Boston, USA , 19. April 1930
    R osalind! Stephen! Wie seht ihr denn schon wieder aus?« Die Hände in die Hüften gestemmt, trat Susan durch die Hintertür in den weitläufigen Garten. »Onkel Jimmy und Tante Harriet werden gleich kommen, und ihr seht aus, als hättet ihr euch im Schlamm gewälzt.«
    Zwei neunjährige Kinder, die sich fast wie ein Ei dem anderen glichen, stoben über die Wiese auf Susan zu.
    »Ma, da hinten ist ein Beet schon ganz voll mit Krokussen«, rief das Mädchen, das mit seinen kurzen hellen Haaren auch ein Junge sein könnte, lediglich seine Stimme war etwas zarter als die seines Bruders, der sogleich rief: »Und im Teich sind Frösche. Rosalind wollte einen fangen und ist fast reingefallen.«
    »Ist gar nicht wahr!« Das Mädchen boxte seinen Bruder in die Rippen. »Du hast mich gestoßen …«
    »Schluss jetzt!«, unterbrach Susan streng, musste sich jedoch ein Lächeln verkneifen. Die Kleidung der Kinder war zwar feucht und schmutzig, ihre Augen strahlten jedoch glücklich. Seit drei Wochen hatte es fast ununterbrochen geregnet, heute war endlich mal ein schöner, sonniger Tag in diesem Frühling. Wie konnte sie es den Zwillingen verdenken, dass sie seit dem Morgen im Garten herumtollten. Außerdem war morgen Ostern, und die Kinder warteten schon gespannt auf ihre Geschenke, die dann im Garten versteckt werden würden.
    Susan klatschte in die Hände.
    »Ab mit euch nach oben ins Bad. Ihr wascht euch noch mal und zieht euch um.« Sie hielt ihre Tochter am Arm fest, als diese an ihr vorbeistürmen wollte. »Rosalind, du ziehst das gelbe Kleid an, das ich dir gestern rausgelegt habe. Und, bitte, versuch wenigstens ein Mal, dass deine Strümpfe länger als eine halbe Stunde weiß bleiben.«
    Das Mädchen zog eine Schnute. »Ein Kleid …«, maulte sie gedehnt. »Warum muss ich immer diese scheußlichen Kleider tragen? Stephen muss auch nicht …«
    »Ist ein Junge«, unterband Susan jede weitere Diskussion. »Außerdem bekommen wir Besuch. Und beeilt euch bitte, ja?«
    Die Kinder jagten johlend davon, wobei Stephen rief: »Jetzt bin ich der Indianer, und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher