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Das Lied der Cheyenne

Das Lied der Cheyenne

Titel: Das Lied der Cheyenne
Autoren: Thomas Jeier
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nachsehen, was hinter dem nächsten Hügel war. Er brauchte die endlosen Ebenen und die wilden Schluchten der Rocky Mountains, er brauchte die Einsamkeit und das wilde Leben. Nur im Westen war er frei. Er war ein Indianer, das hatten einige seiner Freunde in St. Louis behauptet, und vielleicht hatten sie recht – vielleicht war er tatsächlich dazu geboren, mit Büffelfrau in einem Tipi zu wohnen und mit den Kriegern ihres Stammes auf die Jagd und in den Krieg zu ziehen.
    Er würde ihr in das Dorf der Cheyenne folgen, und er würde ihren Vater bitten, sie zu verheiraten. Es sollte alles seine Ordnung haben. Er würde ihr seine Hütte zeigen, und wenn es ihr dort gefiel, würden sie einmal dort, ein andermal in einem Tipi der Cheyenne wohnen. Sie würden ein freies Leben führen. Frei wie der Wind und frei wie der Adler, der am Nachmittag über ihnen gekreist war. Der Teufel sollte die Vergangenheit und die Zukunft holen! Für sie würde es nur die Gegenwart geben. Sie würden glücklich sein, verdammt!
    Vor der Zukunft verschloss er die Augen, aber Büffelfrau erinnerte ihn daran. »Die Weißen sind zahlreich«, antwortete er ausweichend, »und viele von ihnen ziehen nach Westen. Sie kommen in ihren rollenden Tipis und wollen den Indianern das Land wegnehmen. Aber wenn sie in dieses Land kommen, sind wir längst tot.« Er wusste, dass es nicht so war. Er hatte gesehen, wie schnell die Besiedlungsgrenze nach Westen vorrückte und was mit den anderen Indianerstämmen geschehen war. Man hatte sie ausgerottet und vertrieben, und er hatte dabei geholfen. Die Besiedlung des amerikanischen Westens ließ sich nicht aufhalten. Die Indianer hatten keine Chance gegen den endlosen Strom der weißen Siedler und waren dem Untergang geweiht. Aber das konnte und wollte er Büffelfrau nicht sagen. Er wollte es selber nicht wissen. Er genoss die Freiheit, solange es sie gab, und wenn die Siedler kamen, würde er sich immer weiter in die Berge zurückziehen.
    »Nein, so schnell wird es keinen Krieg geben«, log er, »die meisten Weißen haben Angst vor eurem tapferen Volk, und es wird noch viele Jahre dauern, bis sie kommen.«
    »Das ist gut«, erwiderte sie erleichtert, »ich will in Frieden mit dir leben und möchte nicht, dass Männer wie der Händler und der Mann mit den roten Haaren diesen Frieden stören.«
    »Solche Männer wird es immer geben«, räumte er ein, »aber wir werden uns zu wehren wissen. Nicht alle Weißen sind so wie sie. Die meisten Jäger leben in Frieden mit den Indianern, und ich kenne viele Trapper, die Indianerfrauen geheiratet haben. Auch die meisten anderen Weißen wollen keinen Krieg.« Aber sie wollen euer Land, fügte er in Gedanken hinzu, und es ist ihnen egal, was mit euch geschieht.
    »Ich werde mit den Geistern reden«, sagte sie, »ich werde sie bitten, uns einen langen Frieden zu schenken. Wir werden nach ihren Gesetzen leben, dann wird uns niemand etwas anhaben können. Aiee, so wird es sein, mein Mann.«
    »So wird es sein, Büffelfrau.«
    Sie schwiegen eine Weile, und Büffelfrau dachte über seine Worte nach. Vieles war unklar. Wie die Weißen lebten, woher sie plötzlich kamen und zu welchen Göttern sie beteten. Warum sie eine andere Hautfarbe hatten und warum sie sich so seltsam kleideten. Sie hatten viel Zeit, darüber zu reden. So wie sie mit den Pflanzern redete, die am Ufer der Flüsse lebten und Felder bestellten. Selbst ihr Volk hatte einmal so gelebt, und es gab alte Männer, die am Feuer davon erzählten. Die tsis tsis tas waren das auserwählte Volk, aber es gab andere Völker, und nicht alle lebten im Krieg mit ihren Leuten. Es war interessant, den Geschichtenerzählern zuzuhören, wenn sie von anderen Völkern und dem Land jenseits der großen Berge erzählten.
    Die Shar-ha ließen sich nicht blicken. Die Nacht verlief ruhig, und auch Büffelfrau hörte kein ungewöhnliches Geräusch. Im ersten Morgengrauen weckte sie Blaue Augen, und sie banden die Pferde los und ritten mit den ersten Sonnenstrahlen nach Westen. Es würde ein heißer Tag werden. Sie tranken etwas Wasser und aßen von dem Trockenfleisch, das Joshua im Camp eingepackt hatte, und sie folgten den Spuren, die deutlich in dem weichen Boden zu sehen waren. Die Shar-ha befanden sich in ihren Jagdgründen und rechneten nicht damit, verfolgt zu werden. Oder lockten die Spuren sie in eine Falle?
    Büffelfrau hatte die Führung übernommen. Sie hatte ihre neue Büchse quer über dem Sattel liegen und war froh, dass sie oft
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