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Das Lied der alten Steine

Das Lied der alten Steine

Titel: Das Lied der alten Steine
Autoren: Barbara Erskine
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Fotografieren, den Garten und, wie Phyllis darüber auch denken mochte, das Haus.
    Einer der Gründe, weshalb Felix ihr das Haus gelassen hatte, war der Garten. Für Londoner Verhältnisse war er groß, auf den ersten Blick schmal und rechteckig, aber durch irgendeine planerische Laune im achtzehnten Jahrhundert bog das hintere Ende des Gartens hinter zwei weiteren Häusern rechtwinklig ab, was seine Größe verdoppelte, die Gärten der anderen Häuser allerdings stark beschnitt. Der Garten war Annas Leidenschaft.
    Soweit sie wusste, war Felix nie auch nur bis zu seinem Ende gelaufen. Sein Interesse begann und endete mit der Verwendbarkeit des Gartens für die Einladungen von Kunden.
    Drinks. Grillfeste. Sonntagnachmittagtees. Die Terrasse mit ihrem Jasmin und den Rosen, ihren alten Terracottatöpfen voller Kräuter – so weit ging sein Interesse. Was jenseits davon lag, die verschlungenen Pfade, die hohen Mauern mit ihren Gittern, die ausgeklügelten Beete mit ihren sorgfältig komponierten Farben, stellenweise halb verborgenen Stücken von Skulpturen, die sie liebevoll auf Ausflügen in ländlichen Antiquitätenläden erstanden hatte, war allein ihre Domäne.
    Es hatte sie sehr erstaunt, dass Felix in den Scheidungsverhandlungen den Garten eigens erwähnt hatte. Er hatte gesagt, sie verdiene ihn, nach all ihrer Arbeit. Das war das Freundlichste, was er je darüber zu ihr gesagt hatte.
    »Daddy? Können wir miteinander reden?« Sie hatte zehn Minuten lang im Schlafzimmer neben dem Telefon gesessen, bevor sie den Hörer aufnahm, um zu wählen.
    Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann kam: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir sonderlich viel zu bereden hätten, Anna.«
    Sie biss sich auf die Lippe. »Es könnte ja sein, dass ich unglücklich und einsam bin und dich brauche.«
    »Ich glaube nicht, dass du mich brauchst.« Die Stimme am anderen Ende war kalt. »Schließlich hast du es ja auch nicht für nötig befunden, meine Meinung zu der Scheidung einzuholen.«
    »Deine Meinung einzuholen?« Die altbekannten Gefühle, die von Wut über Fassungslosigkeit und Entrüstung bis hin zu Machtlosigkeit reichten, brandeten über sie. »Wieso hätte ich deine Meinung einholen sollen?«
    »Aus Höflichkeit.«

    Anna schloss die Augen und zählte bis zehn. So war es immer gewesen. Andere Eltern zeigten in ähnlichen Situationen Liebe oder Mitgefühl, ja sogar Wut. Ihr Vater beklagte sich über mangelnde Höflichkeit. Sie seufzte hörbar. »Es tut mir Leid. Ich glaube, ich hab’ zu tief drin gesteckt. Es ist alles so plötzlich passiert.«
    »Es hätte überhaupt nicht passieren dürfen, Anna. Du und Felix, ihr hättet euch irgendwie arrangieren können. Wenn du mich zu Rate gezogen hättest, dann hätte ich mit ihm reden können…«
    »Nein! Nein, Daddy, das hätten wir nicht. Unsere Ehe ist beendet. Wir haben die Entscheidung getroffen. Niemand sonst.
    Wenn du dich in irgendeiner Weise übergangen fühlst, tut mir das Leid. Das war nicht meine Absicht. Ich habe dich die ganze Zeit auf dem Laufenden gehalten, falls du dich erinnerst. Jeden Tag.« Sie wurde allmählich gereizt.
    »Ich erwarte nicht, auf dem Laufenden gehalten zu werden, Anna. Ich erwarte, um Rat gefragt zu werden. Ich bin dein Vater…«
    »Ich bin eine erwachsene Frau, Daddy!«
    »So benimmst du dich aber nicht, wenn ich das mal sagen darf…«
    Anna knallte den Hörer auf die Gabel. Ihr drehte sich der Magen um und sie schluchzte beinahe vor Wut.
    Sie stand auf, ging zum Toilettentisch und starrte darauf, ohne etwas wahrzunehmen. Es war ein kleiner Rokokosekretär, der mithilfe eines ovalen Spiegels für seinen gegenwärtigen Verwendungszweck ausgerüstet worden war, bedeckt mit verschiedenen Kosmetika, Pinseln und Schmuckstücken.
    Plötzlich nahm sie ihr eigenes Spiegelbild wahr und sah sich finster an. Er hatte Recht. Sie benahm sich nicht wie eine erwachsene Frau. Sie benahm sich so, wie sie sich fühlte: wie ein verlassenes Kind.

    Ihre Hand glitt zu dem kleinen gläsernen Parfümfläschchen, das vor dem Spiegel stand. Sie nahm es und sah es unglücklich an. Es war etwa sieben Zentimeter hoch und von einem tiefen, undurchsichtigen Blau, mit einem breiten federartigen Ornament verziert, als Stöpsel diente ein geformter Wachsklumpen, der bis zum Ansatz des Flaschenhalses hineingeschoben und versiegelt war. Phyllis hatte es ihr geschenkt, da es sie als Kind so fasziniert hatte, und seitdem war es immer bei ihr gewesen.
    »Pass gut darauf auf,
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