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Das Lied der alten Steine

Das Lied der alten Steine

Titel: Das Lied der alten Steine
Autoren: Barbara Erskine
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dem Kopf auf den Pfoten auf den uralten Ziegelsteinen, die mit Flechten und wildem Wein bewachsen waren. Späte Rosen blühten üppig und die Luft war trügerisch warm, geschützt durch die Gebäude, die zu beiden Seiten angrenzten. Anna seufzte. Sie spürte Phyllis’ Blick und biss sich auf die Lippe.
    Plötzlich betrachtete sie sich selbst mit den kritischen Augen der alten Frau. Verwöhnt. Faul. Nutzlos. Depressiv. Eine Versagerin.
    Phyllis kniff die Augen zusammen. Sie konnte auch Gedanken lesen. »Selbstmitleid beeindruckt mich gar nicht, Anna. Das hat es noch nie. Ich konnte diesen Soundso, deinen Mann, nie leiden. Es war verrückt von deinem Vater, dir die Ehe mit ihm zu erlauben. Du hast Felix viel zu jung geheiratet. Du wusstest ja gar nicht, was du da tust. Und ich glaube, du bist noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Du hast immer noch viel Zeit, um dir ein neues Leben aufzubauen. Du bist jung und gesund und hast noch deine eigenen Zähne!«
    Anna lachte wieder. »Du tust mir gut, Phyl. Ich brauche jemanden, der mir in den Hintern tritt. Das Problem ist, dass ich eigentlich nicht weiß, wo ich anfangen soll.«
    Die Scheidung war sehr zivilisiert verlaufen. Kein unziemliches Gezanke, keine Feilschereien um Geld oder Eigentum. Felix hatte ihr das Haus gelassen und sich damit ein reines Gewissen erkauft. Immerhin hatte er sie betrogen und verlassen. Und er hatte schon ein Auge auf ein anderes Haus in einer schickeren Gegend geworfen, ein Haus, das von einem Innenarchitekten maßgeschneidert und auf das Feinste möbliert sein würde, um sein neues Leben, seine neue Frau und sein Kind zu beherbergen.
    Für Anna, plötzlich so allein, war das Leben über Nacht eine leere Hülle geworden. Felix war sozusagen ihr Alles gewesen.
    Selbst ihre Freunde waren Felix’ Freunde gewesen. Ihre Aufgabe war es, seine Gäste zu bewirten, seinen gesellschaftlichen Terminkalender zu führen, alle Rädchen seines Lebens gut zu schmieren, und all das machte sie, so glaubte sie jedenfalls, ziemlich gut. Aber vielleicht doch nicht.
    Vielleicht hatte sie sich am Ende doch ihre innere Unzufriedenheit anmerken lassen.
    Zwei Wochen nach ihrem Diplom in modernen Sprachen hatten sie geheiratet. Er war fünfzehn Jahre älter. Der Entschluss, ihr Studium abzuschließen, war, wie es ihr inzwischen schien, die letzte große Entscheidung in ihrem Leben gewesen, die sie selbst gefällt hatte.
    Felix hatte eigentlich gewollt, dass sie unmittelbar nach dem Heiratsantrag die Universität verlässt. »Du brauchst diese ganze Bildung doch gar nicht, Liebling«, hatte er sie bedrängt. »Wozu denn? Du wirst nie arbeiten müssen.«

    Oder deinen hübschen kleinen Kopf mit irgendetwas belasten, was des Nachdenkens wert wäre… Diese gönnerhaften Worte, zwar ungesagt, aber stillschweigend gemeint, waren in den folgenden Jahren immer häufiger in ihrem Kopf widergeklungen. Aber sie redete sich auch selbst ein, dass sie für anderes gar keine Zeit hatte; dass das, was sie für Felix tat, Arbeit war. Es nahm auf alle Fälle ihre ganze Zeit in Anspruch.
    Und die Bezahlung? Oh, die Bezahlung war gut. Sehr gut! Er hatte ihr alles gegönnt. Ihre Pflichten waren klar und einfach. In diesen Tagen feministischen Ehrgeizes, weiblicher Unabhängigkeit und Entschlossenheit sollte sie ein Dekorationsstück sein. Er hatte das so überzeugend dargestellt, dass sie gar nicht merkte, was geschah. Sie sollte klug genug sein, um mit Felix’ Freunden Konversation treiben zu können, aber nicht so klug, dass sie ihn in den Schatten stellte, und er hatte nahezu meisterhaft verstanden, es als enorm wichtig und verantwortungsvoll erscheinen zu lassen, dass sie all die Lebensbereiche organisieren durfte, die nicht schon von seiner Sekretärin organisiert wurden. Und um diese Organisation reibungslos zu gestalten, wurde ihr erst nach der vornehmen Hochzeit in Mayfair und der Hochzeitsreise auf die Virgin Islands mitgeteilt, dass es keine Kinder geben würde. Niemals.
    Sie hatte zwei Hobbys: Fotografieren und Gärtnern. Er ließ sie für beides so viel Geld ausgeben, wie sie wollte, und unterstützte ihre Interessen sogar, solange sie ihren sonstigen Pflichten nicht im Wege standen. Beides war schließlich schick, gab einen guten Gesprächsstoff ab und war relativ harmlos, und sie hatte damit die Lücken in ihrem Leben gefüllt. In der Tat war sie in der Verbindung der beiden Gebiete so gut geworden, dass ihre Gartenfotos mit Preisen ausgezeichnet und verkauft
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