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Das Lied der alten Steine

Das Lied der alten Steine

Titel: Das Lied der alten Steine
Autoren: Barbara Erskine
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Anna«, hatte Phyllis gesagt. »Es stammt aus dem alten Ägypten und ist sehr, sehr alt.«
    Ägypten.
    Anna drehte es zwischen den Fingern und betrachtete es. Felix hatte es natürlich schätzen lassen, von einem ziemlich hochnäsigen Kunsthändler. »Es tut mir Leid, wenn ich Sie enttäuschen muss, liebe Anna, aber ich fürchte, das stammt wohl aus einem viktorianischen Basar. Die frühen Reisenden wurden immer mit so genannten Antiken hereingelegt. Und das hier sieht nicht einmal ägyptisch aus.« Er hatte es ihr mit leicht gerümpfter Nase zurückgereicht, als ob er durch die bloße Berührung sich und seinen Bond-Street-Ruf beschmutzt hätte.
    Anna lächelte müde bei der Erinnerung an diesen Moment.
    Wenigstens musste sie die eingebildeten Bekannten von Felix nicht mehr ertragen und nicht mehr so tun, als bewundere sie deren Klugheit; sie musste nicht mehr ihre herablassende Behandlung erdulden, als wäre sie nur ein dekoratives Zubehör, das er auf irgendeinem Basar aufgelesen hatte.
    Seufzend stellte sie die Flasche ab und sah wieder in den Spiegel. Sie war müde, niedergeschlagen und sie hatte alles satt.
    Phyllis hatte wie immer Recht. Sie brauchte Urlaub.
    »Sind Sie schon einmal in Ägypten gewesen?«
    Warum hatte sie das nicht bedacht, als sie einen Fensterplatz reserviert hatte? Fünf Stunden Gefangenschaft neben irgendjemandem, den das Schicksal ihr zum Nachbarn gegeben hatte, und keine Fluchtmöglichkeit!
    Fast vier Monate waren seit jenem wundervollen Herbsttag in Suffolk vergangen, aber nun endlich war sie unterwegs.
    Draußen legte das Bodenpersonal von Gatwick letzte Hand an die Beladung des Flugzeugs und befreite die Flügel für den Start vom Eis. Graupel wehte über den Flughafen und peitschte in die Gesichter der Männer, die sich um das Flugzeug scharten, bis sie eine wütende, schmerzende Farbe bekamen.
    Anna hob den Blick nicht von ihrem Reiseführer. »Nein.« Sie versuchte, unbeteiligt zu klingen, ohne unhöflich zu sein.
    »Ich auch nicht.« Sie fühlte, wie er sie von der Seite ansah, aber er sagte nichts weiter und suchte in der Tasche zu seinen Füßen nach eigenem Lesestoff.
    Der Gangplatz neben ihm war immer noch frei, aber das Flugzeug füllte sich langsam und das Flugpersonal rückte die Leute immer dichter zusammen. Anna riskierte einen raschen Blick nach links. Um die vierzig; sandfarbenes Haar, regelmäßige Züge und lange Wimpern, die deutlich sichtbar waren, während er sein offenbar schon oft gelesenes Buch durchblätterte. Plötzlich tat es ihr Leid, dass sie so kurz angebunden gewesen war. Aber es gab genug Zeit, das wieder gutzumachen, wenn sie es wollte. Alle Zeit der Welt. Neben ihm zwängte sich ein älterer Mann mit hohem Kragen in den dritten Sitz der Reihe. Er beugte sich vor, nickte erst ihr, dann ihrem Nachbarn zu, dann griff er nach einem Stapel Zeitungen. Sie bemerkte mit einem Lächeln, dass die Church Times säuberlich unter einem Exemplar der Sun verborgen war.
    Als sie an diesem Morgen ihre Haustür abgeschlossen und den Koffer in das wartende Londoner Taxi gewuchtet hatte, wollte sie beinahe der Mut verlassen. Die stillen frühmorgendlichen Straßen waren von dickem Februarfrost weiß überzogen und das Dämmerlicht vor Sonnenaufgang wirkte seltsam flach und bedrückend. All ihre Entschlusskraft schien dahin. Hätte der Taxifahrer nicht darauf gewartet, sie zur Victoria Station zu bringen, wo der Zug zum Flughafen abfuhr, dann wäre sie in das leere Haus zurückgelaufen, hätte Ägypten für immer sausen lassen und sich im Bett die Decke über den Kopf gezogen.
    Im Flugzeug war es heiß und stickig und sie hatte Kopfschmerzen. Sie konnte sich kaum bewegen, der Ellbogen ihres Nachbarn stieß dauernd gegen ihren eigenen. Außer einem Kopfnicken und einem kurzen Lächeln, als sie aufgeschaut hatte, um ihr Tablett entgegenzunehmen, und einem weiteren, als die Getränke kamen, hatte er sich ihr nicht mehr zugewandt.
    Das Schweigen belastete sie allmählich. Sie wünschte sich kein regelrechtes Gespräch, davor hatte es sie ja eben noch gegraust, aber ab und zu ein kleines Wortgeplänkel, um die Stimmung aufzulockern, wäre eine willkommene Abwechslung gewesen.
    Der Trommelwirbel der Flugzeugmotoren ließ nicht nach, und als sie die Augen schloss, schien er von Minute zu Minute lauter zu werden. Sie hatte die Kopfhörer für den Film abgelehnt. Er auch. Soweit sie sehen konnte, schlief er, das Buch umgekehrt auf dem Schoß, die Finger locker darüber
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