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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala
Autoren: Michael Peinkofer
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dass ein Eidgenosse ein Mann von Ehre sei, der seine Freunde nicht im Stich lasse, und darauf bestanden, bei ihr zu bleiben. Dass der Gelehrte aus Genf einst ihr erbitterter Gegner gewesen war und es eine Zeit gegeben hatte, da sie ihn am liebsten in einen Kanonenlauf gesteckt und in Vernescher Manier auf den Mond geschossen hätte, war inzwischen kaum noch vorstellbar. Genau wie sie selbst hatte auch Friedrich Hingis sich verändert, und wie bei ihr war es Verlust gewesen, der diese Veränderung bewirkt hatte - in seinem Fall der seiner linken Hand.
    Als Sarahs Berater und Vertrauter hatte Hingis sie während ihres Aufenthalts in Prag begleitet; er war ihr auf den Balkan gefolgt und auf den Gipfel des meteorons, und auch danach war er bei ihr geblieben - vielleicht auch, weil er sich für das Geschehene mitverantwortlich fühlte. Kein anderer als er war es gewesen, der die Begegnung mit der Gräfin Czerny eingefädelt und sie Sarah als treue und zuverlässige Verbündete empfohlen hatte. Sarah war jedoch weit davon entfernt, ihm deswegen Vorhaltungen zu machen. Schließlich wusste sie selbst am besten, zu welchen Manipulationen die Bruderschaft fähig war.
    Von Malta aus war Hingis zu jenem Ort aufgebrochen, der die einzige bekannte Möglichkeit barg, einen Codicubus zu öffnen: eine Burgruine auf der der Südküste Maltas vorgelagerten Felseninsel Fifla. Die Ritter des Johanniterordens, die über viele Jahrhunderte im Besitz eines Codicubus gewesen waren, hatten dort eine von magnetischer Kraft durchwirkte Stele errichtet, die den Würfel zu öffnen vermochte. Zusammen mit Maurice du Gard hatte Sarah dies einst herausgefunden, und zu gerne wäre sie selbst auf die Insel gereist. Hingis jedoch hatte sie überzeugt, dass es besser war, wenn sie in Venedig blieb und sich schonte. Enthielt der Codicubus das, was sie vermuteten, so würde sie ihre Kräfte noch dringend brauchen. So hatte Sarah also der Vernunft gehorcht und abgewartet - quälende Wochen lang, bis der Schweizer endlich zurückgekehrt war, im Gepäck den geöffneten Codicubus ...
    ... und ein weiteres Rätsel.
    Sarah vermochte nicht zu sagen, wie oft sie in den vergangenen Wochen auf jenes Stück Papier gestarrt hatte, das der Würfel preisgegeben hatte. Sie hatte erwartet, darin eine Landkarte oder eine wie auch immer geartete Beschreibung vorzufinden, in jedem Fall einen Hinweis auf Kamals Verbleib.
    Aber sie war bitter enttäuscht worden.
    Die alte Sarah Kincaid, jene unbekümmerte junge Frau, die nicht an die Kraft des Übernatürlichen geglaubt und das Prinzip der wissenschaftlichen Vernunft über alles andere gestellt hatte, hätte daraufhin wohl die Suche aufgegeben. Die dramatischen Ereignisse der Vergangenheit jedoch hatten Sarah erkennen lassen, dass außer der menschlichen ratio noch andere Kräfte am Wirken waren. Darauf hoffend, dass es so etwas wie Vorsehung tatsächlich gab, hatten sie und ihr Begleiter Venedig Mitte Februar den Rücken gekehrt und waren zum Bosporus aufgebrochen, um zu erfahren, was es mit dem rätselhaften Pergament auf sich hatte.
    Darauf war eine einfache Zeichnung abgebildet: ein Dreieck mit einem Turm darüber, über dem wiederum ein Kreis zu sehen war, der ebenso gut ein Auge wie eine Sonne darstellen mochte.
    Darunter vier Wellenlinien.
    Wäre das nicht ausgeschlossen gewesen, hätte Sarah es für die ungelenke Zeichnung eines Kindes gehalten, in jedem Fall aber für einen schlechten Scherz, den sich jemand mit ihr erlaubte; denn die Darstellung unterschied sich grundlegend von allen anderen, die Sarah jemals gesehen hatte. Weder konnte sie darin einen griechischen noch sonst einen abendländischen Stil erkennen, und die Symbolik folgte auch nicht jener der altorientalischen Kulturen.
    Dennoch war die Zeichnung echt, ebenso wie das Rätsel, das mit ihr verbunden war. Und dieses Rätsel zu ergründen war die einzige Hoffnung, die Sarah Kincaid geblieben war.
    Hoffnung für sie ... und für Kamal.

2.
     
    T AGEBUCH S ARAH K INCAID
     
    Byzanz
    Konstantinopel.
    Stambul.
    Schon viele Namen hatte die Stadt am Bosporus seit ihrer Gründung. Und noch mehr Herren. Und jeder von ihnen hat dort seine Spuren hinterlassen: in antiker Zeit die Griechen, später die Römer, die Ostgoten, die Seldschuken, die Genueser und schließlich die Osmanen. In jungen Jahren schien sie mir deshalb ein Spiegel der Geschichte zu sein, in dem Altertum, Mittelalter und Neuzeit gleichermaßen gegenwärtig sind. Während das Osmanenreich, in
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