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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala
Autoren: Michael Peinkofer
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westlichen Kreisen oftmals abschätzig als ›kranker Mann vom Bosporus‹ bezeichnet, andernorts in seinen Todeszuckungen liegt, hat sich der Glanz der Sultane hier erhalten. Die Moscheen und Paläste sind vom Geist einer großen Vergangenheit durchdrungen, in den Gassen und auf den Basaren drängt sich das Leben. Doch während ich früher der Überzeugung war, dass es kaum einen abenteuerlicheren Ort auf Erden geben kann, habe ich in diesen Tagen keinen Blick für die orientalischen Wunder. Nur ein einziger Grund hat mich hierher geführt.
    Die Suche nach meinem geliebten Kamal.
    Unabhängig davon, ob Gardiner Kincaid mein leiblicher Vater gewesen ist oder nicht - als mein Lehrer hat er mir beigebracht, dass in der Hauptstadt des Osmanenreichs viele der alten Traditionen bis zum heutigen Tag bewahrt werden und es noch immer Gelehrte gibt, die die altpersischen Künste der Sterndeutung, der Weissagung und der Schriftkunde pflegen. Obwohl ich als Archäologin in erster Linie der ratio verpflichtet bin, habe ich in den vergangenen Monaten viele Dinge erlebt und erfahren, die mich an der reinen Wissenschaft haben zweifeln lassen. Wenn ich Kamal finden will, werde ich dazu mehr brauchen als die bloße Kraft des Verstandes.
    Was ich brauche, ist ein Wunder ...
     
    G ROSSER B ASAR
    K ONSTANTINOPEL
    18. M ÄRZ 1885
     
    Die Luft über dem Kapali Çarşi, dem Großen Basar, war erfüllt von fremdartigen Düften. Unterschiedlichste Gerüche drangen in die Nasen der Besucher und riefen Bilder und Vergleiche verschiedenster Art hervor - von Gewürzen wie Zimt und Anis, die an Weihnachten erinnerten, über den süßen Duft von Türkischem Honig, der das Morgenland erahnen ließ, über den strengen Geruch von frisch gegerbtem Leder bis hin zum lieblich-herben Geschmack erlesener Tabaksorten.
    Die Nischen, die sich in nicht enden wollender Anzahl unter den bunt bemalten Dächern des Basars aneinander reihten, quollen über vor Waren, die von Händlern in bunten Seidengewändern feilgeboten wurden. Streng nach Zunftordnungen gegliedert, wie sie bis ins späte Mittelalter hinein auch in Europa gegolten hatten, buhlten die Handwerker um die Gunst der Kunden, die sich zu Hunderten in den Gassen drängten: Hier boten die Weber bunte Tuchwaren zum Kauf, in einer anderen Gasse konnte man von den Kerzenmachern gefertigte Wachslichter erstehen, wieder in einer anderen waren die Töpfer und Glasbläser zahlreich vertreten. Entsprechend groß war die Vielfalt an unterschiedlichen Farben und Formen, in der es Krüge und Töpfe, Becher und Kelche, Öllampen und Kerzenständer, Töpfe und Pfannen, Messer und Dolche, Polster und Kissen, Decken und Teppiche zu erstehen gab. Die türkische nargile 2 wurde ebenso zum Kauf angeboten wie die klassische Tabakpfeife aus geschnitztem Meerschaum; orientalisch anmutende Schatullen mit Intarsien aus Rosenholz sowie Pantoffeln aus chinesischer Seide; Gürtel und Sättel aus feinem Leder und grüne Keramik aus Kale-Sultanie. An den Lebensmittelständen wurden Gewürze unterschiedlichster Art verkauft, dazu gedörrte Datteln und Aprikosen, Maulbeeren und Kichererbsen, süßer Honig, getrocknete Auberginen und Marmeladen aus Zitronen, Birnen und wilden Mohrrüben. Und hier und dort betätigte sich ein Derwisch vor staunenden Zuhörern als meddah 3 .
    Der Lärm, der dabei die Luft erfüllte, war unbeschreiblich, ein Stimmengewirr, das von der gewölbten Überdachung des Basars zurückgeworfen und noch verstärkt wurde. Der Vergleich mit einem Bienenstock drängte sich förmlich auf. Allenthalben versuchten die Händler, die Kunden in ihre Läden zu locken, die oftmals wenig mehr waren als bis unter den Rand mit Gütern vollgestopfte Höhlen; und nicht selten kam es vor, dass arglose Basarbesucher, die sich vom Glanz der Waren blenden ließen, mit Dingen nach Hause kamen, für die sie keine Verwendung hatten.
    Die meisten Menschen, die sich auf dem Basar drängten, waren Türken, die nach osmanischem Brauch gekleidet waren, aber es fanden sich auch viele Europäer darunter, die in der Osmanenhauptstadt zahlreich vertreten waren und von denen die meisten in den Hotels und Mietshäusern von Pera lebten; dazu kamen Inder, Perser, Menschen aus Pakistan und Chinesen. Der Toleranz entsprechend, die im Reich der Sultane eine lange Tradition hatte, waren Fremde stets willkommen und wurden bereitwillig geduldet, auch wenn es von Seiten der muslimischen Gastgeber immer wieder Versuche gab, als verloren angesehene
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