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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala
Autoren: Michael Peinkofer
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geführt hatte. Damals hatte sie geglaubt, dass dieser Würfel der einzige seiner Art wäre, war später aber eines Besseren belehrt worden. Denn auf höchst sonderbare Weise war sie in den Besitz eines weiteren Würfels gelangt, und hätte sie nicht allen Grund zu der Annahme gehabt, dass ihr der Inhalt dieses Würfels über Kamals Verbleib Aufschluss geben könnte, hätte sie ihre Suche schon längst aufgegeben. So jedoch bestand noch immer Hoffnung, wenn auch nur ein winziger Funke ...
    Sarah schwang sich aus dem Bett. Auch wenn es noch früher Morgen war - die Nacht war für sie zu Ende. Sobald sie den Klauen ihrer Albträume entronnen war, ergriff tiefe Unruhe von ihr Besitz, und ihre Gedanken begannen einander zu jagen. Wieder und wieder grübelte sie über das, was geschehen war und fragte sich, ob sie es hätte verhindern können. Eine Antwort jedoch fand sie an diesem Morgen ebenso wenig wie an allen anderen.
    Barfuß schlich sie über den kalten Marmorboden des Hotelzimmers zum Sekretär. Noch herrschte Ruhe draußen auf dem Gang; erst in einer guten Stunde würden die Zimmerkellner mit ihren Servierwagen erscheinen, um den Gästen ihr Frühstück zu bringen. Dann würde der Geruch von Mokka und frischem Backwerk das Hotel durchdringen, und Sarah würde sich dazu zwingen, ein wenig zu essen. Ohnehin hatte sie in den letzten Wochen abgenommen. Sie aß ebenso wenig wie sie schlief, und wenn, dann nur, weil sie sich mit aller Macht dazu überwand. Sarah wusste, dass sie bei Kräften bleiben musste, wenn sie sich erneut auf die Suche nach Kamal begeben wollte.
    Auf dem Weg zum Sekretär passierte sie den Spiegel und erschrak fast über das, was sie darin sah: eine junge Frau mit blassen, ausgemergelten Zügen, die von langem dunklem Haar umrahmt wurden und aus denen ein stumpfes Augenpaar blickte. Einst hatten diese Augen vor Forscherdrang gebrannt, hatte Sarah es kaum abwarten können, sich von einem Abenteuer in das nächste zu stürzen und der Vergangenheit ihre Geheimnisse zu entreißen.
    Das war lange vorbei.
    Inzwischen wäre sie froh darüber gewesen, ein einfaches, durchschnittliches Leben zu führen, auch wenn es für eine Frau ihres Standes bedeutete, sich mit dem Platz zu begnügen, den eine von Männern beherrschte Gesellschaft ihr zuwies. Sarah hätte beinahe alles darum gegeben, ihr Kind zurückzubekommen und ihren Geliebten wieder in die Arme schließen zu können. Doch ihr war klar, dass das eine unmöglich und das andere in weite Ferne gerückt war. Und obwohl sich Sarah weigerte, die Hoffnung ganz fahren zu lassen, kam sie nicht umhin, sich einzugestehen, dass die letzten Monate an ihren Kräften gezehrt hatten. Der Verlust, die Trauer, die Schussverletzung, die sie davongetragen hatte - all das hatte Narben hinterlassen, und beim Blick in den Spiegel hatte Sarah das Gefühl, dass jede einzelne davon in ihrem Gesicht zu sehen war.
    Sie fröstelte in ihrem Nachthemd und wandte sich ab. Die Morgendämmerung hatte inzwischen eingesetzt, und sanftes Licht sickerte durch die geschlossenen Fensterläden, während die Stadt draußen zum Leben erwachte. Der Muezzin auf dem Minarett der nahen Nusretiye-Moschee rief zum Gebet, und schon in Kürze würden die Straßen überquellen mit Fuhrwerken und Kulis, die nach Süden zum Basarviertel drängten, das auch Sarahs Ziel an diesem Tag war.
    Auf der schmalen Tischfläche des Sekretärs lagen nur zwei Gegenstände. Das eine war ein Revolver der Marke Colt Frontier 1878, den Sarah in einem Laden unweit des Gewürzbasars erstanden hatte. Eine Waffe dieser Bauart hatte auch der alte Gardiner einst benutzt, und sie hatte Sarah stets gute Dienste geleistet. Der zweite Gegenstand war ein leicht rostiger Metallwürfel, dessen ungeheurer Wert auf den ersten Blick kaum zu erkennen war.
    Der Codicubus.
    Sarah setzte sich auf den mit dunkelgrünem Samt beschlagenen Stuhl und nahm den Würfel zur Hand, dessen Oberseite fehlte. Sie griff hinein und zog ein Stück Pergament hervor, das sie entrollte, um zum ungezählten Mal einen Blick darauf zu werfen.
    Nachdem sie den Herbst in Italien verbracht und mehr oder weniger vergeblich versucht hatte, sich von den Strapazen der Balkanreise zu erholen, hatte Friedrich Hingis nach den Weihnachtstagen ein Schiff bestiegen, das von Venedig über Sizilien nach Malta gefahren war. Längst hatte Sarah den Schweizer gedrängt, in seine Heimat zurückzukehren und sich nicht länger um ihre Belange zu kümmern. Aber Hingis hatte betont,
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