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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala
Autoren: Michael Peinkofer
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Fackeln orangefarbene, horizontal verlaufende Linien zeichneten, konnte Sarah die Personen darin noch deutlich wahrnehmen, so, als schärfte das Artefakt ihre Sinne.
    Sie sah das ungläubige Erstaunen in Viktor Abramowitschs Gesicht, sah ihre Erzfeindin, die Gräfin Czerny, die fassungslos dastand, die Hände auf ihren Unterleib gelegt und die Miene zornverzerrt. Sie sah Lemont du Gard, der die Hände zu Fäusten geballt und triumphierend emporgestoßen hatte, ein diabolisches Grinsen auf den Zügen. Und sie sah Entsetzen in Friedrich Hingis' Gesicht und hörte den heiseren Schrei aus seiner Kehle.
    Der Schweizer handelte in dem Augenblick, als sich das Glühen der Kegelspitze intensivierte und nicht mehr nur Sarahs Hand, sondern ihren ganzen Körper einzuhüllen schien. Die Gunst des Augenblicks nutzend, riss er sich von seinen Bewachern los und rannte auf Sarah zu, augenscheinlich im Bemühen, sie von dem Artefakt loszureißen - aber er kam nicht sehr weit. Ein Schuss fiel, und zu ihrem Entsetzen beobachtete Sarah, wie Hingis getroffen niederging. Instinktiv wollte sie ihre Hand vom Kegel nehmen, um dem Freund zur Hilfe zu kommen, aber es war zu spät. Sie konnte den Kräften, denen sie ausgesetzt war, nicht widerstehen.
    Immer schneller rotierte das Artefakt, und das energetische Summen wurde so laut und intensiv, dass es Sarah fast um den Verstand brachte. Gleichzeitig hatte es den Anschein, als würde sich der massive Boden unterhalb des Kegels allen Regeln der Natur zum Trotz auflösen. Eine Art Strudel entstand aufgrund der Drehbewegung darin, der das Artefakt - und mit ihm auch Sarah! - verschlang.
    In diesem Moment begriff sie, dass das Kunstwerk keineswegs der Schlüssel zur Pforte der Weisheit war, wie du Gard behauptet hatte.
    Es war die Pforte selbst!
    Schon nach wenigen Augenblicken wusste Sarah nicht mehr zu sagen, ob sie tatsächlich in dem Strudel versank oder ob er sich wie ein gefräßiger Rachen über sie stülpte.
    Dann folgte Dunkelheit.

11.
     
    In dem Augenblick, als Sarah Kincaid in die bodenlose Tiefe zu stürzen schien, kehrten auch jene Erinnerungen zu ihr zurück, die ihr vor langer Zeit im unvollendeten Ritual des pho-wa übertragen worden waren, die Erfahrungen von Hunderten von Leben.
    Der erste Name, der ihr in den Sinn kam, war Inanna.
    Polyphemos hatte sie stets so genannt, und sie hatte immer gerätselt, was es damit auf sich hatte. Nun begriff sie den Zusammenhang, und sie sah sich selbst in fernen, längst entschwundenen Zeitaltern, die vor ihrem geistigen Auge wieder lebendig wurden. Sie erblickte die Wunder der Alten Welt, von den Pyramiden von Giseh und dem Pharos von Alexandria bis zu den hängenden Gärten Babylons, spürte den Odem der Geschichte und die Kraft der Mythen, während immer mehr Namen durch ihr Bewusstsein flossen, ein nicht enden wollender Strom.
    Roxane.
    Arisnoë.
    Meheret.
    In vielen Körpern hatte sie gelebt und auf verschiedenen Seiten der Geschichte gestanden, hatte Freude und Leid erfahren und den Zyklus des Werdens und Vergehens unzählige Male durchlaufen - doch stets war sie nur auf der Suche nach dem Einen gewesen, der von ihrer Seite gerissen worden war und der ihre Seele erst vollkommen machte.
    Von Zeit zu Zeit waren sie einander begegnet, ohne sich zu erkennen, sich umkreisend wie Himmelskörper, von kosmischen Kräften getrennt, einander fremd wie Sonne und Mond. Bisweilen hatte die Geschichte sie zu Gegnern gemacht, aber selbst dann hatten sie die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie einander wiederfinden würden, zwei verlorene Seelen in Raum und Zeit.
    Tammuz und Inanna.
    Tezud und Meheret.
    Kamal und Sarah ...
    Endlich begriff sie, was sie nie verstanden hatte, konnte sich an all die Leben erinnern, die sie geführt hatte, seit ihre Gefährten und sie vor unendlich langer Zeit auf Erden erwacht waren. Davor hatte sie nur die endlose Schwärze des Kosmos gekannt, gegen die sich ein einzelnes Menschenleben ausnahm wie ein Sandkorn auf dem Grund des Ozeans. Winzig. Vergänglich. Bedeutungslos.
    Ihr Dasein auf Erden hatte ihrer Existenz Sinn und Richtung gegeben, bis sie von ihresgleichen verraten und hintergangen worden war, vertrieben aus dem Paradies, das sie sich selbst geschaffen hatten. Dies und noch mehr enthielten die Erinnerungen, die Mahasiddha an Sarah weitergegeben hatte. Da das Ritual seinerzeit nicht abgeschlossen worden war, hatte sie sich nicht daran erinnert - der Kontakt mit jenem Ort jedoch, an dem alles seinen Anfang
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