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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Autoren: Manuela Martini
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wusste sie
    nun schon, seit er hier lag. Sie musste ihn fragend angesehen haben, denn er
    winkte ab. „Sicher, natürlich wissen Sie das.“ Er räusperte sich. „Unser
    Missionsinstitut hat es sich zur Aufgabe gemacht, Gottes Wort in der Welt zu
    verbreiten. In vielen Ländern der Erde gibt es Menschen, die weder lesen noch
    schreiben können und auch noch nie etwas von Jesus Christus erfahren haben.“
    Emma hörte zu, aufmerksam und neugierig, worauf er wohl hinauswollte. „Ich habe
    heute etwas sehr Bedeutendes erfahren.“ Sie konnte sich noch immer keinen Reim
    auf seine Bemerkungen machen und wartete. „Ich übernehme eine Missionsstation.“
    „Oh, das ist wirklich etwas Bedeutendes.“ Er wird nach Afrika geschickt werden,
    dachte sie. Er nickte. „Unser Missionsinstitut hat mit der
    evangelisch-lutherischen Synode von Süd-“ Er brach ab und sah sie sehr ernst
    an. „Schwester Emma?“ Er schluckte. Seine blauen Augen leuchteten jetzt, er
    richtete sich mühsam auf, holte Luft und sagte: „Würden Sie meine Frau werden
    und mich nach Australien begleiten?“ Ihr verschlug es die Sprache. Damit hatte
    sie nicht gerechnet. Australien? Das Land auf der anderen Seite der Weltkugel?
    Sie war noch nie weiter als bis zum Hof ihrer Großeltern gereist, das waren
    gerade mal achtzig Kilometer - Australien? Was war in diesem Moment in ihrem
    Kopf vorgegangen? War es die Vorstellung, die nächsten Jahre ihres Lebens
    abends zu ihrer verbitterten Mutter zurückkehren zu müssen? War es das
    Schuldgefühl, zu Hause geblieben zu sein und den Krieg überlebt zu haben? War
    es der Gedanke, dass das alles ihrem Vater, der so gern die Welt gesehen hätte,
    gefallen hätte? Oder war es die Anziehung, die sie zu diesem fremden Mann
    spürte?
    Auch im Nachhinein
    konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, nur noch an jenen Moment, als sie
    den Mund öffnete und eine fremde Stimme sagte: „Ja.“ Er drückte ihre Hand, und
    sie stand auf. Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging sie hinaus, als sei
    gerade das Selbstverständlichste geschehen. Im Flur lehnte sie sich an die
    kalkweiße, kalte Wand und versuchte wieder zu atmen. Eine Woche später fand in
    der Kirche des Missionsinstituts die Hochzeit statt. Emma stammte aus einer
    lutherischen Familie, und das stellte die Missionsleitung, die auch über die
    Eignung der Ehefrauen entscheiden musste, zufrieden. Nicht nur ihr Beruf
    erschien dem Gremium besonders willkommen, auch ihre zusätzlichen Fähigkeiten
    und Kenntnisse hatten sie beeindruckt. So verfügte sie dank des Bruders ihrer
    Mutter, der lange Zeit in England verbracht und einige Jahre mit ihnen zusammen
    gewohnt hatte, über recht gute Englischkenntnisse, und stets hatte sie die
    Ferien auf dem Hof ihrer Großeltern väterlicherseits verbracht, wodurch sie mit
    allen praktischen Tätigkeiten vertraut war, was ihr auf einer Missionsstation
    zugute kommen würde.
    Noch nie im Leben war
    sie so überzeugt gewesen, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
    Sie würde etwas für die Menschheit tun, und Paul war ein Mann, der seine
    Aufgabe sehr ernst nahm. Und sie, sie würde ihn begleiten und ihn unterstützen.
    Was für eine großartige Aufgabe stand ihr bevor! Oh, Papa, dachte sie, ich
    weiß, dass du stolz auf mich wärst! Auch Vera, ihre Kollegin, war ganz aufgeregt.
    „Emma, wie wunderbar!“, rief sie aus und klatschte in ihre kräftigen Hände.
    „Nach Australien! Das wird das Abenteuer deines Lebens! Und er ist so ein
    stattlicher Mann! Wie ich dich beneide! Wenn ich doch auch nur so eine Chance
    bekäme! Aber wer heiratet schon eine Krankenschwester?“ Emma hatte gelächelt.
    Tatsächlich sahen es die Oberinnen nicht gern, wenn Krankenschwestern
    heirateten. Sie sollten sich ganz der Pflege der Patienten widmen. Dass ihr
    Aufbruch nicht bloß ein Abenteuer würde, sondern eine klare Entscheidung für
    ein bescheidenes, gottesfürchtiges Leben war, hatte sie Vera zwar zu erklären
    versucht, doch die hatte sie nur mit großen Augen angesehen. Der Kommentar
    ihrer Mutter war gewesen: „Jeder geht. Ich bleibe.“ Dann hatte sie sich wieder ihren
    Putzarbeiten gewidmet. Die Krankenhausleitung wünschte ihr alles Gute. „Wir
    sind sehr stolz auf Sie“, hatte Senator Hinrichs gesagt und ihr persönlich die
    Hand geschüttelt. Sie war errötet und hatte gedacht, dass doch gar niemand
    wusste, am wenigsten sie selbst, was sie in diesem fernen, fremden Land
    erwarten würde.
     

2
    Sie blieb
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