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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Autoren: Manuela Martini
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in Pauls kleinem Zimmer
    miteinander verbracht, aber Emma versuchte die Erinnerung daran zu verdrängen.
    Sie war angespannt gewesen. Sie hatte es nicht genossen. Es , wie sie es nannte. Es war ihr peinlich gewesen. Auch jetzt ließ
    sie dieses unangenehme Gefühl nicht los: Sie kannte diesen Mann doch kaum. Doch
    mit Paul darüber sprechen wollte sie auch nicht. Immerhin hatten sie in der
    Kabine getrennte Betten, was ihr ein wenig Abstand verschaffte. Aber zugleich
    wusste sie, dass ihr Verhalten nicht normal war. Sie mochte ihn – und er
    sie doch auch. Und jedes Ehepaar schlief gemeinsam in einem Bett. Vielleicht
    brauchten sie beide einfach noch ein wenig Zeit.
    Für Vera wäre das
    anders, dachte sie. Vera hatte schon zwei Männerbekanntschaften gehabt.
    Manchmal tuschelte Vera mit anderen Kolleginnen, und dann kicherten sie und
    schlugen sich schnell die Hand vor den Mund, wurden rot. Sie, Emma, hatte es
    über einen Kuss mit Ernst Zehner aus der Nachbarschaft nicht hinausgebracht.
    Und das auch nur an jenem Abend, bevor er in den Krieg gezogen war. Es war ein
    Abschiedskuss gewesen, er hätte ihn genauso gut einer anderen geben können. Er
    war nicht mehr aus dem Krieg zurückgekehrt. Im letzten Jahr war dann ein junger,
    kriegsverletzter Arzt ans Krankenhaus gekommen, der ihr häufiger Komplimente
    gemacht hatte. Doch sie war kühl geblieben, weil sie seine traurigen und
    bettelnden Augen nicht hatte ertragen können.
    Tagsüber lag sie meist
    in einem der Liegestühle neben Paul und befasste sich mit einem
    Englischlehrbuch, das sie aus dem Bücherschrank ihres Vaters mitgenommen hatte.
    Manchmal las sie auch eines von Pauls Büchern über Australien. Gleich in den
    ersten Tagen war sie auf die Geschichte von Ludwig Leichhardt gestoßen, einem
    Deutschen, der als Forscher den australischen Kontinent bereiste. Vor vierzig
    Jahren war er mit seinen Männern mitten im australischen Busch verschollen. Sie
    betrachtete die Zeichnungen: abgemagerte Männer, in einer endlos scheinenden
    Wüste an einen Felsen gekauert, im Angesicht des Todes.
    Vor der Abreise hatte
    Paul ihr auf einer Landkarte die Lage der Missionsstation gezeigt, die er mit
    schwarzer Tinte selbst eingezeichnet hatte – ein winziger Punkt inmitten
    eines riesigen Kontinents. „Warum ausgerechnet dort?“, hatte sie von ihm wissen
    wollen. „Weil unser Institut dort vor dreißig Jahren eine Missionsstation
    gegründet hat. Unsere Vorgänger haben diesen Ort gewählt, weil er ihnen gut
    erschien.“ Trotzdem verstand sie nicht, warum man einen so abgelegenen Ort
    ausgesucht hatte. Lebten denn dort überhaupt Menschen? Die Zeichnungen, die sie
    gerade betrachtete, weckten erneut ihr Unverständnis. „Unsere Missionsstation
    Neumünster, wie weit liegt sie eigentlich von der nächsten Stadt entfernt?“,
    fragte sie ihn, das Buch aufgeschlagen auf dem Schoß. „Ungefähr hundertfünfzig
    Kilometer“, antwortete er, ohne von seiner Lektüre aufzusehen. Hundertfünfzig
    Kilometer! Das wären ja fünf Dreißig-Kilometer-Fußmärsche! Sie hatte zwar jeden
    Tag, bei jedem Wetter, fünf Kilometer zu Fuß ins Krankenhaus und wieder nach
    Hause laufen müssen, oft mit schlechten Schuhen, aber dreißig Kilometer durch
    unbewohntes Land erschienen selbst ihr sehr weit. „Werden wir ein Automobil
    haben?“, fragte sie wenig hoffnungsvoll. Er schüttelte den Kopf. „Es gibt dort
    keine Straße.“ In seinen Ton mischte sich Ungeduld. „Das habe ich dir doch
    alles schon erklärt.“ Ja, er hatte es ihr erklärt, aber es war so viel Neues
    gewesen, dass sie sich nicht mehr sicher war. „Entschuldige“, sagte sie. Sie konnte
    glücklicherweise reiten, das war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen auf dem
    Bauernhof ihrer Großeltern gewesen. Dennoch, die Vorstellung, in einem fremden
    Land am anderen Ende der Welt ohne Straße so weit vom nächsten Ort entfernt zu
    sein, bereitete ihr – angesichts der Zeichnungen in ihrem Buch -
    Unbehagen. „Und wenn jemand krank wird?“ Er runzelte die Stirn und legte sein
    Buch in den Schoß. „Emma, ich habe dich gefragt, ob du mit mir kommst, und du
    hast Ja gesagt. Darauf habe ich mich verlassen. Ich kann niemanden an meiner
    Seite gebrauchen, der voller Zweifel ist.“ „Natürlich nicht!“, stimmte sie
    beschämt zu. Er hatte Recht. Sie hatte Ja gesagt. Warum hörte sie nicht einfach
    auf zu fragen? Sie warf einen letzten Blick auf den sterbenden Forscher, dann
    legte sie das Buch beiseite und schlug
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