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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier
Autoren: Patricia Cornwell
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Perserteppich wurde beiseite geschoben, darunter kommt das alte Parkett aus französischer Eiche zum Vorschein. Eine Tischlampe steht unangeschlossen auf dem Boden. Das Sofa weist leere Stellen auf, wo eigentlich Sitzkissen liegen sollten, die Luft riecht ölig und beißend nach Formalin. Jenseits des Wohnzimmers und neben der Eingangstür befindet sich das Esszimmer, und durch die offene Tür begrüßt mich der Anblick einer braunen Papiertüte, die mit gelbem Klebeband verschlossen ist, das für Beweissicherung verwendet wird. Die Tüte ist mit Datum, Initialen und dem Etikett Kleidung Scarpetta versehen. Darin befinden sich Hose , Pullover, Socken, Schuhe, BH und Unterhose, die ich gestern Abend getragen habe, die Kleider, die man mir im Krankenhaus abgenommen hat. Die Tüte, weiteres Beweismaterial, Taschenlampe und andere Ausrüstungsgegenstände liegen auf meinem geliebten Esstisch aus rotem Jarrah-Holz, als wäre er eine Werkbank. Die Polizisten haben ihre Mäntel auf Stühle gelegt, überall sind nasse, schmutzige Fußspuren. Mein Mund ist trocken, meine Gelenke schmerzen vor Scham und Wut.
    »He, Marino!«, schreit ein Polizist. »Righter ist auf der Suche nach dir.«
    Buford Righter ist der Oberstaatsanwalt von Richmond. Ich schaue mich nach Jay um. Er ist nirgends zu sehen.
    »Sag ihm, er soll 'ne Nummer ziehen und warten, bis er aufgerufen wird.« Marino liebt diesen Spruch.
    Er zündet eine Zigarette an, kaum habe ich die Tür geöffnet. Kalte Luft schlägt mir ins Gesicht und treibt mir das Wasser in die Augen. »Hast du meinen Alukoffer geholt?«, frage ich ihn.
    »Er ist in meinem Wagen«, sagt er wie ein herablassender Ehemann, der die Handtasche seiner Frau holen sollte. »Warum will Righter dich sprechen?«, frage ich ihn.
    »Alles ein Haufen verdammter Voyeure«, murmelt er. Marinos Pickup steht auf der Straße vor dem Haus, und zwei massive Reifen haben sich in meinen verschneiten Rasen gefressen. Buford Righter und ich haben im Lauf der Jahre viele Fälle gemeinsam vertreten, und es tut weh, dass er mich nicht direkt gefragt hat, ob er zu mir nach Hause kommen kann. Er hat sich auch nicht mit mir in Verbindung gesetzt, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen und mir seine Freude mitzuteilen, dass ich noch am Leben bin.
    »Wenn du mich fragst, die Leute wollen bloß deine Bude sehen«, sagt Marino. »Deswegen kommen sie mit diesen Ausreden, dass sie dies oder das überprüfen müssen.«
    Matsch dringt in meine Schuhe, als ich mich vorsichtig die Einfahrt entlangtaste.
    »Du hast ja keine Ahnung, wie viele Leute mich fragen, wie es bei dir zu Hause aussieht. Man möchte meinen, du wärst Lady Di oder so. Außerdem steckt Righter seine Nase überall rein, er kann es nicht ausstehen, wenn er außen vor ist. Und das ist der größte beschissene Fall seit Jack the Ripper. Righter geht uns gewaltig auf den Wecker.«
    Plötzlich explodiert ein grelles weißes Gewitter aus Blitzlichtern. Ich rutsche beinahe aus und fluche laut. Fotografen haben sich in die bewachte Einfahrt geschmuggelt. Drei von ihnen stürzen sich auf mich, während ich mich abmühe, mit einem Arm auf den hohen Sitz des Pickup zu klettern.
    »He!«, schreit Marino den nächstbesten Fotografen, eine Frau, an. »Verdammte Zicke!« Er streckt die Hand aus, um sie vor ihre Kamera zu halten, rempelt sie an, und ihr zieht es die Beine weg. Sie landet mit dem Hintern auf der glatten Straße, die Kamera schlittert davon.
    »Idiot!«, schreit sie ihn an. »Idiot!«
    »Steig ein! Steig ein!«, brüllt Marino mir zu.
    »Wichser!«
    Mein Herz schlägt mir gegen die Rippen. »Ich werd Sie verklagen, Sie Wichser!«
    Noch mehr Blitzlichter, ich klemme meinen Mantel in der Tür ein und muss sie wieder öffnen und zuschlagen, während Marino mein Gepäck verstaut und auf den Fahrersitz springt. Der Motor heult auf und rumpelt wie eine Jacht. Die Fotografin versucht aufzustehen, und flüchtig denke ich, dass ich fragen sollte, ob sie sich verletzt hat.
    »Wir sollten nachsehen, ob sie sich etwas getan hat«, sage ich und schaue aus dem Seitenfenster.
    »Verdammt noch mal, nein. Auf keinen Fall.« Der Wagen kriecht rückwärts auf die Straße, Marino bremst kurz ab und beschleunigt dann.
    »Wer sind die?« Ich bade in Adrenalin. Blaue Punkte schweben vor meinen Augen.
    »Arschlöcher. Das sind sie.« Er greift zum Mikrofon seines Funkgeräts. »Einheit neun«, sagt er.
    »Einheit neun«, meldet sich die Zentrale.
    »Bloß keine Bilder von mir oder von
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