Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind
Autoren: John Hart
Vom Netzwerk:
auf die Anhöhe fuhr und dahinter verschwand. Als sein Herz wieder langsamer schlug, trug er die Tüten ins Haus.
    Auf der Theke sahen die Lebensmittel mickrig aus, aber das Gefühl, das sie weckten, war größer: ein Triumph. Johnny räumte sie weg, und dann schaltete er die Kaffeemaschine ein und schlug ein einzelnes Ei in die Pfanne. Blaue Flammen schossen in dem Eisenring herauf, und er sah zu, wie das Ei an den Rändern weiß wurde. Er drehte es vorsichtig um und legte es dann auf einen Pappteller. Das Telefon klingelte, als er nach einer Serviette griff. Er erkannte die Nummer auf dem Display und nahm den Anruf an, bevor es zum zweiten Mal klingeln konnte. Der Junge am anderen Ende hatte eine raue Stimme. Er war auch dreizehn, aber er soff und qualmte wie ein Erwachsener. »Machst du heute blau? Komm, wir machen blau.«
    Johnny warf einen Blick zum Flur und dämpfte seine Stimme. »Hallo, Jack.«
    »Ich hab mir ein paar Häuser an der West Side angeguckt. Ist 'ne miese Gegend. Echt mies. Jede Menge Exknackis da drüben. Leuchtet ein, wenn man drüber nachdenkt.«
    Das war ein altes Lied. Jack wusste, was Johnny trieb, wenn er die Schule schwänzte und sich im Dunkeln verdrückte. Er wollte ihm helfen, teils, weil er ein guter Junge war, und teils, weil er kein guter Junge war.
    »Das ist nicht irgendein Spiel«, sagte Johnny.
    »Du weißt doch, was man von einem geschenkten Gaul sagt, Mann. Das ist 'ne kostenlose Hilfe. Halte das nicht für selbstverständlich.«
    Johnny atmete geräuschvoll aus. »Entschuldige, Jack. Ist manchmal blöd morgens.«
    »Deine Mom?«
    Johnnys Kehle schnürte sich zusammen, daher nickte er nur. Jack war sein letzter Freund, der Einzige, der ihn nicht behandelte wie eine Missgeburt oder einen, mit dem man Mitleid haben musste. Außerdem hatten sie einiges miteinander gemeinsam. Jack war schmächtig wie Johnny und hatte selbst seine Probleme. »Ich sollte wahrscheinlich heute hingehen.«
    »Der Aufsatz für Geschichte ist heute fällig«, sagte Jack. »Hast du ihn fertig?«
    »Hab ihn letzte Woche abgegeben.«
    »Scheiße. Wirklich? Ich hab noch nicht mal angefangen.«
    Jack verspätete sich immer, und die Lehrer drückten stets ein Auge zu. Johnnys Mom hatte Jack mal einen »Gauner« genannt, und das Wort passte. Er klaute Zigaretten aus dem Lehrerzimmer und schmierte sich freitags Gel ins Haar. Er trank mehr Alkohol, als für einen Jungen gut war, und er konnte lügen wie ein Profi. Aber er bewahrte ein Geheimnis, wenn er es versprochen hatte, und hielt einem den Rücken frei, wenn das nötig war. Er war liebenswert und aufrichtig, wenn er wollte, und eine Sekunde lang spürte Johnny, wie seine Lebensgeister erwachten, doch dann senkte sich die Last des Morgens auf ihn.
    Detective Hunt.
    Das Knäuel der schmuddeligen Geldscheine neben dem Bett seiner Mutter. »Ich muss los«, sagte er. »Was ist mit Schuleschwänzen?«
    »Ich muss los.« Johnny legte auf. Sein Freund war gekränkt, aber daran ließ sich nichts ändern. Johnny setzte sich mit seinem Teller auf die Veranda, aß das Ei mit drei Scheiben Brot und trank ein Glas Milch. Als er fertig war, hatte er noch Hunger, doch bis zum Lunch waren es nur viereinhalb Stunden.
    Er konnte warten.
    Er goss Kaffee und Milch in einen Becher und ging durch den halbdunklen Korridor zum Zimmer seiner Mutter. Das Wasser war weg, das Aspirin auch. Das Haar verdeckte nicht mehr ihr Gesicht, und quer über ihren Augen lag ein Streifen Sonnenlicht. Johnny stellte den Becher auf den Nachttisch und öffnete ein Fenster. Kühle Luft strömte von der Schattenseite des Hauses herein. Johnny betrachtete seine Mutter. Sie sah noch blasser aus, müder, jünger. Verloren. Sie würde nicht aufwachen wegen des Kaffees, aber er wollte, dass er dastand, für alle Fälle. Damit sie es wusste.
    Er wollte sich abwenden, doch da stöhnte sie im Schlaf und zuckte heftig zusammen. Sie murmelte etwas, strampelte zweimal mit den Beinen und fuhr jäh hoch, mit weit aufgerissenen, angstvollen Augen. »O Gott!«, sagte sie. »O Gott!«
    Johnny stand vor ihr, aber sie sah ihn nicht. Was immer ihr solche Angst einjagte, hatte sie noch in den Klauen. Er beugte sich zu ihr und sagte, sie habe nur geträumt, und in dieser Sekunde schienen ihre Augen ihn zu erkennen. Sie hob die Hand an sein Gesicht. »Alyssa«, sagte sie, und es klang fragend.
    Johnny fühlte, dass ein Unwetter aufzog. »Ich bin Johnny«, sagte er.
    »Johnny?« Sie blinzelte zweimal, dann brach der Tag über
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher