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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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einige Fragen offen.
    Beckers Vermutung war nach wie vor, dass sie sehr wohl ihren Mann in
seinem Hotelzimmer getroffen hatte und es dort wahrscheinlich zum Streit
gekommen war. Überwachungskameras in den Aufzügen, wie Becker zwischenzeitlich
gehofft hatte, gab es nicht. Die einzige kleine Chance war, ihr Bild zu
veröffentlichen und auf Zeugen zu hoffen, die sie im Aufzug oder in einem der
Gänge gesehen hatten. Eine schwangere Frau fiel ja doch etwas mehr auf. Ob da aber
der Staatsanwalt mitmachen würde, bei der dünnen Indizienlage? Andererseits war
es nicht unwahrscheinlich, dass sie einfach niemandem begegnet war. Und
natürlich galt auch immer noch die Unschuldsvermutung: Sie könnte schlicht und
einfach die Wahrheit gesagt haben.
    Becker verabschiedete sich. Als er zur Tür ging, tauchte die junge
Frau wieder auf. Er erkannte sie jetzt, es war die Frau, der er bei seinem
letzen Besuch vor der Tür begegnet war. Anscheinend war sie hier angestellt.
Becker nickte ihr freundlich zu, gab Frau Strüssendorf die Hand und öffnete die
Tür. Als er schon fast draußen war, rief sie ihm etwas nach. Er drehte sich
noch einmal um.
    »Carl hieß er und war Textilfabrikant.«
    Becker hatte keinen blassen Schimmer, was sie meinte.
    Sie lachte. »Ihr Gesicht ist ein einziges Fragezeichen, Herr
Kommissar. Beim letzten Mal haben Sie mich nach dem Namen des Schmölderparks
gefragt. Das hat mich interessiert, deshalb hab ich’s nachgeguckt. Carl Julius
Schmölder schenkte der Stadt Ende des 19. Jahrhunderts das Gelände mit der
Auflage, daraus ein Erholungsgebiet für die Bürger zu machen. Und er gründete
einen ›Verschönerungsverein‹ für die Stadt Rheydt. Starb 1906.«
    Becker dankte ihr, hob die Hand zum Gruß und ging zu seinem Auto.
Wenn er an die derzeitige Lage der Rheydter Innenstadt dachte, dann war ein
Verschönerungsverein nicht die schlechteste Idee.
    Er fuhr los, doch gleich an der nächsten Ecke musste er heftig abbremsen.
Eine Frau undefinierbaren Alters mit strähnigem Haar und im karierten
Wintermantel schob einen bis obenhin mit einem Sammelsurium von Sachen
gefüllten Einkaufswagen vor sich her über die Straße. Becker hupte kurz und
fuhr kopfschüttelnd wieder an. Die Frau reagierte aber gar nicht, sondern ging
einfach weiter. Komische Alte, dachte er, und stellte fest, dass sie
erstaunlich elegante rote Schuhe trug, wenn auch ein bisschen groß.
    ***
    Nachdem Kriminalhauptkommissar Becker gegangen war, setzte sich
Cordula Strüssendorf in die Sitzecke. Sie stöhnte. Von diesen unbequemen
Designmöbeln würde sie sich unbedingt bald trennen müssen. Ihr Mann hatte
unglaublich viel Wert auf so etwas gelegt, das war jetzt vorbei. Sie musste
sich von allem trennen wie von seinem Mobiltelefon, das jetzt zertrümmert im
Weiher im Schmölderpark lag. Dass sie auf diesen Blender hereingefallen war,
konnte sie heute nicht mehr verstehen. Dieser Schmierlappen mit seinen jungen
Mädchen – kein Wunder, dass ihr manchmal die Hand ausgerutscht war.
    Sie beugte sich schwerfällig zur Seite und griff nach einer braunen
ledernen Aktentasche. Sie öffnete sie und zog einen Stapel Papiere heraus. Noch
einmal blätterte sie ihn durch, las den einen oder anderen Abschnitt.
Tinotschka kam herein und brachte ihr einen Tee. Die beiden Frauen lächelten
sich an. Sie würden gut miteinander klarkommen. Wenn das Baby da war, würde
Tinotschka sich um das Kleine kümmern, sobald Cordula Strüssendorf ihre Arbeit
in der Politik wieder aufnahm. Verbindungen hatte sie genug, beginnen würde sie
erst einmal mit dem Kreisvorsitz, der traditionell immer ein guter Start in
eine steile Karriere war. Dass ein Kotzbrocken wie Joachim Flor momentan noch
auf dieser Position saß, machte ihr keinerlei Sorgen. Immerhin war Flor es
gewesen, der Tinotschka auf Geheiß ihres Mannes aufgenommen und als billiges
Hausmädchen ausgebeutet hatte – und der von Matthias Strüssendorf dafür auch
noch bezahlt worden war, mit der Miete. Nach dessen Tod hatte Flor sie ganz
schnell vor die Tür gesetzt, aus Mangel an Charakter und Moral und aus Schiss
vor jeglicher Verbindung mit dem Fall.
    Doch Schiss sollte er vielmehr vor dem Inhalt der Aktentasche haben,
die Tinotschka an seinem letzten Abend Cordulas Mann hatte bringen sollen und
die sie schließlich im Garten versteckt hatte. Nachdem Cordula Strüssendorf sie
bei sich aufgenommen hatte, war Tinotschka eines Abends zu ihr gekommen und
hatte ihr die Tasche gezeigt. Das Mädchen wusste nicht,
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