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Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Christiane Fux
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spazieren. Ihre meist fülligen Mütter trugen die Haare streng unter bunten Kopftüchern verborgen. Zwei hübsche Teenies gingen Arm in Arm die Straße hinunter. Die eine ließ trotzig ein paar Haarsträhnen unter der traditionellen Tracht hervorblitzen, während ihre Freundin in skandalös engen Jeans und Stöckelschuhen herumstolzierte.
    Das Jugendstilhaus, in dem Anna gewohnt hatte, war vor vielen Jahren in hoffnungsvollem Himmelblau gestrichen worden. Jetzt schien die blätternde Farbe nur noch durch die vielen bunten Graffiti zusammengehalten zu werden. ›Erkan du Schwuchtel‹ stand da, und über ein paar hingeschmierte Hakenkreuze hatte jemand ›Nazis raus aus Deutschland‹ gesprüht.
    Innen sah das Haus kaum besser aus als außen. Doch unter den Türritzen quollen würzige Küchendüfte hervor. Theos Magen knurrte. Gemeinsam erklommen sie die steilen, knarzenden Stiegen in den dritten Stock. Paul wetzte, sich seiner wiedergewonnenen Vitalität erfreuend, vorneweg, Erik Florin schnaufte als Schlusslicht hinterher. Vor der Wohnungstür seiner Mutter angekommen, wischte er sich den Schweiß von der Stirn. »Meine Güte, wie hat Mama das bloß jeden Tag geschafft?«
    Plötzlich legte Paul den Kopf schief und blaffte leise. Lars legte sein Ohr an die Tür. »Da ist irgendwer in der Wohnung.«
    »Da KANN keiner in der Wohnung sein!« Erik Florin fummelte alarmiert an seiner Brille. Theo ließ sich auf die Knie nieder und hob mit den Fingerspitzen die Briefklappe in der Tür an.
    »Işte kuzu kuzu geldim, Dilediǧince kapandim dizlerine, Bu kez gururumu ateşe verdim, Yaktım da geldim«, tönte es.
    »Vielleicht holen wir besser die Polizei«, wisperte Erik Florin.
    »Işter at, ister öp beni, Ama önce dinle«, sang die Stimme.
    »Einbrecher singen wahrscheinlich eher selten bei der Arbeit«, merkte Theo an.
    »Schon gar nicht davon, dass sie ein sanftes Lämmchen sind«, bestätigte Lars.
    »Wieso Lämmchen?« Florin quoll eine weitere Schicht Schweiß auf die Stirn.
    »Das ist ein alter Song von Tarkan«, erklärte Lars, »diesem türkischen Popstar. Es ist ein Liebeslied.«
    »Işte kuzu kuzu geldim«, schmetterte der Eindringling.
    »Kommen Sie, wir sind doch zu dritt.« Theo nahm dem zögernden Herrn Florin den baumelnden Schlüsselbund aus der Hand. Paul nieste aufmerksamkeitsheischend.
    »Pardon: zu viert.« Versöhnlich tätschelte er den Hund und öffnete die Tür. Im schmalen Flur türmten sich medizinische Fachzeitschriften: »The Lancet« und »British Medical Journal« registrierte Theo zu seiner Verblüffung. Geradeaus stand mit dem Rücken zu ihnen eine schwarz gekleidete, schlanke Person mit langen dunklen Haaren am Küchenfenster.
    »Oooofff ooofff, Acı biberler sür dilime dudaklarıma«, trällerte sie.
    »Ey Meister, was treibst du denn hier?«, fragte Lars vernehmlich. Die Gestalt schrak zusammen und fuhr herum. Vor ihnen stand ein sehr blasser, sehr junger Türke mit kajalumrandeten Augen.
    Sein Outfit war ungewöhnlich. Sonst bestimmten eher übergroße Jeans und Baseballkappen den modischen Standard im Viertel. Der Junge ließ eine Milchtüte fallen, deren Inhalt sich quer über das Linoleum ergoss. Paul stürzte sich umgehend auf die weiße Lache.
    »Shit«, rief der junge Türke. »Verdammt, habt ihr mich erschreckt.« Resigniert betrachtete er, wie der Mops auch noch die Milchspritzer von seinen spitzen schwarzen Stiefeln schlabberte.
    »Wollen Sie zu Anna?«, fragte er.
    Theo und Lars warfen sich einen Blick zu. »Kann man so nicht sagen«, sagte Lars. Der Türke schaute irritiert von einem zum anderen.
    »Ich bin der Sohn von Anna Florin«, sagte Erik Florin spitz, »der Wohnungsbesitzerin.« Demonstrativ verschränkte er die kurzen Arme über dem Bauch »Und nun wüsste ich wirklich gern, wer du bist und wie du hier reingekommen bist!«
    »Anna hat mir einen Schlüssel gegeben. Für alle Fälle«, sagte der Junge, von dem plötzlich alles lässige Gehabe abzufallen schien. »Und Sie sind dann vermutlich Erik.« Er gab dem verblüfften Mann wohlerzogen die Hand.
    »Ich bin Fatih«, sagte er schlicht, »Annas bester Kumpel.«
    Der junge Türke und die betagte Deutsche. Ein Zusammenprall der Generationen und der Kulturen. Und so unwahrscheinlich diese Freundschaft jedem scheinen mochte, der nur davon hörte, Theo war sofort davon überzeugt, dass es so gewesen war.
    »Also tot.« Wie ein müder alter Mann ließ Fatih sich kurz darauf auf den abgeschabten Küchenstuhl sinken. Lars
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