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Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Christiane Fux
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zum Leuchtturm. Rund um seinen vielleicht vier Meter breiten Sockel zog sich eine Sitzbank. Hildes Arme breiteten sich aus, als Carla plötzlich den Schwanz einkniff und von dem kleinen Turm wegstrebte, während Cleo in die andere Richtung zerrte. Am Fuße des Türmchens, nahe am Wasser, das unter der Eisdecke durch das Schilf schwappte, lag ausgestreckt eine kleine, vermummte Person mit apfelgrüner Pudelmütze. Heide erkannte die ungewöhnliche Kopfbedeckung sofort. Sie hatte die alte Frau oft bei ihren Spaziergängen auf dem Deich getroffen. Die Sonne hatte noch nicht genügend Kraft gehabt, den Raureif auf der dicken Wolle, dem unförmigen, türkisfarbenen Daunenmantel und den Brauen und Wimpern zu schmelzen. Als Heide die alte Frau an der Wange berührte, löste sich ein Kristall und taumelte in das weit geöffnete Auge, wo er liegen blieb. Rasch trat sie einen Schritt zurück.
    Während sie mit klammen Fingern das Handy aus den Tiefen ihrer Manteltasche fummelte, postierten sich die beiden Wolfshunde würdevoll links und rechts der toten Frau.
    Wie zwei Sphinxe, dachte Heide und wählte den Notruf.
    Montag, 8. Dezember 2008
    Der alte Mann leerte seine Kaffeetasse und stelle sie energisch auf den Tisch. Er rollte die Zeitung zusammen und erhob sich. Anna spürte, wie Adrenalin durch ihre schockstarren Glieder strömte. Blind grub sie einen Schein aus ihrer Geldbörse mit dem »Hello Kitty«-Druck und schob ihn mit zitternden Fingern unter die Kaffeetasse. Das Portemonnaie hatte Entchen, ihre siebenjährige Urenkelin, für sie ausgesucht. Anna zögerte kurz und warf einen Blick auf ihren Blümchenrollwagen. Bananen. Zahnpasta. Ein kleiner Schokoweihnachtsmann für Entchen. Nichts, was wichtig wäre. Der Mann hatte die Zeitung auf dem Tisch liegen gelassen und schon einige weitausholende Schritte Vorsprung. Um sie herum saßen die schicken alten Damen, die jungen Mädchen, die Herren mit Schlips. Niemand ahnte, dass hier das Schicksal einen mutwilligen Bocksprung vollführte.
    Sie ließ den Rollwagen Rollwagen sein und warf einen liebevollen Blick auf ihre Füße. Viel besser als Pumps, dachte sie grimmig und nahm die Verfolgung auf.
    Sonnabend, 13. Dezember 2008
    Theo warf einen Blick auf den Totenschein.
    »Hypothermie«, las er laut und schob rasch die medizinische Terminologie verlassend hinterher, »sie ist an Unterkühlung gestorben?«
    Erik Florin nickte. »Schrecklich, nicht wahr? Eine Spaziergängerin hat sie an der Bunthäuser Spitze gefunden. Sie muss dort die ganze Nacht gelegen haben.« Er fummelte an der runden Brille auf seiner Nase, bis diese noch schiefer saß als zuvor. »Ich habe so etwas noch nie gemacht«, gestand er dann. »Mich um eine Beerdigung gekümmert, meine ich. Was kostet denn so was?« Verschämt tauchte er seine Knubbelnase in den Becher.
    Erst seit er das Geschäft ganz übernommen hatte, hatte Theo die Arbeit seines Vaters wirklich zu würdigen gelernt – ein ständiger Drahtseiltanz zwischen Geschäftssinn und Mitgefühl. Theo, der das Bestattergewerbe von Kindesbeinen an kannte, hatte schnell gelernt, die mehr oder weniger kummervollen Hinterbliebenen zuverlässig einzuschätzen. Da gab es die Tieftrauernden, die ihr letztes Hemd und noch mehr für den geliebten Verstorbenen hergeben wollten, alte Männer und Frauen, die er freundlich, aber entschieden, davor bewahrte, sich hoffnungslos zu verschulden, damit »der liebe Heinz« oder »die geliebte Hilde« ein stattliches Begräbnis bekam.
    Er erkannte inzwischen schnell den Unterschied zwischen echten Geizhälsen und Pragmatikern, die es erst sinnlos fanden, so viel gutes Geld unter die Erde zu bringen, und später ob ihrer Knauserigkeit mit sich hadern würden. Für jeden musste er die richtigen Worte, die richtigen Gesten und die beste Lösung finden.
    »Was für … Möglichkeiten gibt es denn überhaupt?«, fragte Erik Florin. Verglichen mit vielen Nachbarländern, erklärte Theo, herrschten in Deutschland geradezu rigide Bestattungsvorschriften. Anders als beispielsweise in den Niederlanden, in England oder der Schweiz dürfe man die Asche seiner Lieben weder auf dem Kaminsims aufbewahren noch im eigenen Garten verstreuen.
    »In Deutschland heißt es ›Sarg oder Urne‹, und beides gehört auf den Friedhof – oder wenige ausgewählte Orte«, erklärte Theo. Man könne sich beispielsweise in speziellen Waldstücken, den sogenannten Friedhainen, beisetzen lassen. Und so mancher waschechte Hanseat wünsche sich ein
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