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Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Christiane Fux
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Welt. Hanseatenluft, dachte Theo. Der erste Frühlingstag machte ihm das Herz weit. Die Elbe blinzelte ihm in den Reflexen von Myriaden funkelnder Wellen zu. Er drehte sich um und durchschritt die Pforte zum Friedhof. Heute Abend war er bei Hanna zum Essen eingeladen. Hanna. Wochenlang hatte sie sich in die Bergman-Story verbissen. Er hatte sie kaum zu Gesicht bekommen. Noch immer hing in der Schwebe, was aus ihnen werden sollte. Ein bisschen Händchenhalten, ein bisschen Knutschen. Mehr war nicht gewesen. Er hatte Angst, sie zu verscheuchen, wenn er sie bedrängte. Er hatte aber auch Angst, dass die Sache im Sande verlaufen würde, wenn sie sich nicht ein Herz fasste. Ganz abgesehen davon war er sich nicht sicher, ob er nicht selbst kalte Füße bekommen würde, wenn sie sich für ihn entschied.
    Aber heute wollte sie mit ihm feiern. Mit der Bergman-Story hatte sie einen ›Spiegel‹-Titel ergattert. Und das, obwohl der Prozess nun geplatzt war. Immerhin eines hatten sie erreicht: Am Ende seines Lebens war er nicht mehr mit der falschen Identität durchgekommen.
    »Der Schweinehund stirbt«, hatte ihnen Hadice vor drei Wochen eröffnet und wütend auf Irmchens Tresen gehauen, sodass ihr alkoholfreies Bier hüpfte. Vorwurfsvoll hatte die gealterte Blondine die Spritzer weggewischt.
    »Jetzt haben wir endlich genug Indizien für einen Prozess in der Hand, und der Kerl macht sich vom Acker.«
    »Hat er sich jetzt plötzlich dazu entschlossen, an Altersschwäche zu sterben, oder was?«
    »Nee.« Hadice wischte sich den Schaum vom Mund. »Der hat einen Hirntumor, so groß wie ein Säuglingsschädel. Damit hätte er, was den Mord an Anna betrifft, vermutlich ohnehin auf vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit plädieren können.«
    »Insofern ist es ja gar nicht schlecht, dass er stirbt. Dann kommt er wenigstens nicht auch noch frei«, war der lakonische Kommentar von Lars.
    »Schätze, das mit dem Tumor hat er schon länger gewusst.« Theo drehte sein Bierglas in den Händen. »Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, warum er überhaupt das Risiko eingegangen ist, nach Hamburg zurückzukommen.«
    »Und was ist aus diesem anderen Knaben geworden? Diesem Sekretär.«
    »Abgehauen. Der hat sich gleich nach der Hausdurchsuchung in die USA abgesetzt.«
    Im gemeinschaftlichen Frust vereint schlürften sie ihre Getränke.
    »Eine gewisse Ironie hat das Ganze ja. Ich meine, wenn so ein bösartiger Hirnforscher an einem bösartigen Hirntumor stirbt …« Lars knuffte Theo aufmunternd. Der Mops, der bis dahin platt auf dem Boden gelegen und eine Warum-dürfen-Hunde-nicht-auf-Barhockern-sitzen-und-Bier-trinken-Miene aufgesetzt hatte, hob den Kopf und blaffte zustimmend. Dann rappelte er sich auf und grinste über beide Ohren.
    Theo ging hinüber zum Grab seiner Frau. Nach dem Winter sah es etwas mitgenommen aus.
    »Morgen bringe ich euch Blumen mit«, versprach er Nadeshda und seiner Tochter. Krokusse und Schneeglöckchen. Er zupfte noch ein paar welke Blätter vom Grab. Sie hatte sich lange nicht mehr blicken lassen, Nadeshda. Er vermisste sie noch immer. Wahrscheinlich würde das nie ganz aufhören. Aber das wollte er auch gar nicht. Als er aufstand, schmerzten seine Knie.
    »Ich werde auch nicht jünger, Nadeshda. Aber ihr zwei, ihr bleibt für immer schön und jung. Ist doch auch was.« Hätte sie jetzt neben ihm gestanden, wäre ihm ein schmerzhafter Knuff auf die Schulter sicher gewesen.
    Auf dem Weg zum Ausgang registrierte er die ersten Frühlingsboten. Winzige Knospen an den Zweigen, die ersten todesmutigen Blumen. Eine alte Frau kam ihm entgegen. Sie war viel zu warm angezogen. Ob auch er irgendwann dauernd frieren würde, wenn er einmal alt war? Die Frau versank fast in dem dicken, türkisfarbenen Daunenmantel. Auf dem Kopf trug sie eine Pudelmütze in grellem Apfelgrün. Freundlich nickte sie Theo zu.
    »Die kenne ich doch von irgendwoher«, murmelte er und grüßte höflich zurück. Sein Vater hatte noch fast jeden Wilhelmsburger beim Namen gekannt. Theo war, wie er sich eingestehen musste, darin weniger gut. Das Medizinstudium hatte einfach zu viel Ablageraum in seinem Gehirn beansprucht, pflegte er sich zu entschuldigen. Erst als er die Friedhofspforte erreichte, kam ihm die Erleuchtung. Mit einem Ruck drehte er sich um.
    Doch da war die alte Frau schon fort.

Fakten und Fiktion
     
    Die im Roman geschilderten Hintergründe und Zahlen zur Euthanasie im Dritten Reich sind sorgsam recherchiert. Insgesamt wurden
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