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Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Christiane Fux
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gleichzeitig im Blick haben konnte. Intime Gespräche waren hier nicht möglich, so viel stand fest.
    Als eine Tür am Ende des Raumes sich öffnete, schrak er zusammen. Schlagartig wurde ihm klar, dass er sich bis zu diesem Zeitpunkt erstaunlicherweise keine Vorstellung davon gemacht hatte, wie Bergman überhaupt aussah. Der Mann, der in Begleitung eines weiteren Wärters hereinkam, überragte sowohl den Aufseher als auch Erik um einen guten Kopf. Er hielt sich sehr aufrecht. Bis auf die Augen waren seine Gesichtszüge eher unscheinbar. Und dennoch strahlte er eine ungeheure Präsenz aus, eine natürliche Autorität, der auch das hohe Alter nichts anhaben konnte. Bergman musterte seinerseits den ältlichen Mann, der sich linkisch von einem hässlichen Stuhl erhob. Die dickliche Figur. Die leicht hängenden Schultern. Die ausgedünnten Locken. Der nervös blinzelnde Blick hinter den runden Brillengläsern.
    »Erik Florin? Setzen wir uns doch.« Er ließ sich auf dem Stuhl gegenüber nieder.
    Er benimmt sich, als sei er Gastgeber auf einer Teeparty, dachte Erik. Der Wärter nickte Erik zu und setzte sich ebenfalls. Wie eine Skatrunde, dachte Erik.
    »Ich muss sagen, das war eine ziemliche Überraschung für mich. Von Ihrer Existenz zu erfahren, meine ich«, sagte Bergman.
    »Gleichfalls«, murmelte Erik, dessen Hände unter Bergmans Blicken zu schwitzen begannen. Er ärgerte sich. Schließlich war nicht er es, über den zu Gericht gesessen wurde. Unauffällig rieb er seine Handflächen an der altmodischen Cordhose. Er spürte, dass er in den Augen seines Gegenübers gewogen und für zu leicht befunden wurde. Das war ihm im Laufe seines Lebens schon unzählige Male passiert. Leises Grollen stieg in ihm auf. Das war gut. So fühlte er sich weniger gedemütigt.
    Bergman musterte seinen unbekannten Sohn mit wissenschaftlichem Interesse. Das genetische Roulette war immer wieder für eine Überraschung gut. Dass ein so unscheinbarer Mensch ein gemeinsames Produkt von der schönen Anna und ihm sein sollte, amüsierte ihn.
    Bergman lachte kurz. »Sie, ich und Anna, wir sind wirklich der beste Beweis dafür, dass Hitlers Rassenpolitik scheitern musste.«
    Erik erfasste intuitiv, worauf Bergman hinauswollte.
    »Eigentlich bin ich nicht hier, um mich beleidigen zu lassen.«
    »Oh, das war nicht meine Absicht.« Der alte Mann schien ehrlich überrascht. »Ich finde es nur hochspannend, dass ich so gar keine Ähnlichkeit entdecken kann.« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. Der Mann, der ihm gegenübersaß, war ihm absolut gleichgültig. Ohnehin war ihm das, was andere Menschen mit ihren Familien verband, ein Rätsel. Seine Kinder, Alexander und Penelope, hatte er seit der Scheidung von seiner Frau kaum gesehen. Sie fehlten ihm nicht.
    Eigentlich könnte ich jetzt einfach aufstehen und gehen, dachte Erik. Schließlich wollte ich ihn nur einmal sehen, von Angesicht zu Angesicht, und das habe ich ja nun. Doch eine einzige Frage nagelte ihn auf seinem Platz fest.
    »Warum haben Sie es getan?«
    »Was?«
    »Anna. Meine Mutter. Warum haben Sie sie getötet?«
    Bergman seufzte. Er klang wie jemand, der zu oft in seinem Leben die Fragen weniger intelligenter Menschen hatte beantworten müssen.
    »Das muss man erst noch beweisen.«
    Seinem Anwalt zufolge hatte die Polizei nur Indizien. Der Gentest, der ihn als Eriks Vater auswies, hatte lediglich gezeigt, dass er nicht der sein konnte, für den er sich jahrzehntelang ausgegeben hatte. Der echte Jonathan Bergman hatte während Eriks Zeugung noch fast zwei Monate in Neuengamme eingesessen, bis ihm seine angebliche Flucht gelang. Das bewies allerdings noch nicht, dass er, Bergman, tatsächlich Sven von Vries war. »Der Nazidoktor«, so nannten ihn die Zeitungen inzwischen, auch wenn sie immer noch das Wörtchen »mutmaßlich« davor schreiben mussten. Allerdings wog die Aussage dieser Journalistin, dieser Hanna Winter, schwer. Sie hatte zu Protokoll gegeben, Anna Florin habe in ihm einen der Ärzte aus Eichenhof wiedererkannt. Genauer gesagt, einen Arzt, der grauenhafte Menschenversuche zu verantworten hatte. Mit Majas Kopf, den sie bei ihm gefunden hatten, erschien das zweifellos ziemlich glaubwürdig. Und die Tatsache, dass Anna wenige Stunden nach dem Besuch bei ihm unter so ominösen Umständen verstorben war, machte die Sache nicht besser. Aber ihm den Mord direkt nachweisen, das würden sie vermutlich nicht schaffen. Immerhin hatte er genug Geld, um sich einen brillanten Anwalt
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