Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
Führungskräfte. Techniker. Ärzte wie Sie.» Er legte mit die Hand auf die Schulter.
    Zwei kleine Pudel trotteten herbei, sie dufteten nach Parfum, und aus den Augenwinkeln sah ich, dass die Blondine mit der Ku’damm-Frisur und den Klunkern den Raum betreten hatte. In ihrer Begleitung waren zwei Männer. Einer war mittelgroß mit blondem Haar und einem Schnurrbart. Der andere war um die vierzig, grauhaarig, mit einer Hornbrille und dicken getönten Gläsern. Er hatte einen dichten Bart und war kräftiger als sein Kollege. Er schien von der Polizei zu sein.
    «Werden Sie wieder als Arzt praktizieren?», fragte Perón an mich gewandt. «Ich bin sicher, wir finden eine Möglichkeit», fügte er hinzu. «Nicht wahr, Rodolfo?»
    Der blonde Mann mit dem Schnauzer trat auf uns zu. Er sah kurz zu dem Bärtigen und fragte: «Wenn die Polizei keine Einwände hat.» Sein Deutsch war so gut wie das seines Meisters.
    Der Bärtige schüttelte den Kopf.
    «Dann werde ich Ramon Carillo bitten, sich darum zu kümmern, falls es recht ist, Herr Präsident?», sagte Rodolfo. Er zückte ein kleines schwarzledernes Notizbüchlein aus der Sakkotasche seines phantastisch sitzenden, maßgeschneiderten Anzugs und machte sich mit einem silbernen Füllfederhalter eine Notiz.
    Perón nickte. «Bitte tun Sie das», sagte er und legte mir wieder die Hand auf die Schulter.
    Obwohl er ein Liebhaber des Stechschritts war, fing ich an, den Präsidenten zu mögen. Ich mochte ihn wegen seines Motorrollers und wegen seiner albernen Knickerbocker. Und wegen seiner breiten Boxerpranken und seiner dummen kleinen Köter. Außerdemhatte er mich hier willkommen geheißen, er schien unkompliziert. Und – wer weiß? – vielleicht mochte ich ihn auch deswegen, weil ich mich verzweifelt danach sehnte, jemanden zu mögen. Ich weiß es nicht. Doch Juan Perón hatte etwas an sich, und so war ich bereit, ein Risiko einzugehen. Ich entschied, ihn darüber aufzuklären, wer ich wirklich war.

DREI
BUENOS AIRES
1950
    Ich drückte meine Zigarette in einem Aschenbecher aus, der auf dem aufgeräumten Schreibtisch des Präsidenten stand und so groß war wie eine Autofelge. Neben dem Aschenbecher lag eine lederne Schmuckschatulle von Van Cleef und Arpels – für sich genommen bereits ein großartiges Geschenk. Ich nahm an, dass den Inhalt dieser Schatulle die kleine Blondine um den Hals trug. Sie spielte mit den Hunden, während ich meinen vornehmen, kleinen Monolog hielt. Es dauerte keine Minute, bis ich auch ihre volle Aufmerksamkeit hatte. Ich wage zu behaupten, dass ich interessanter sein kann als zwei Hunde, wenn ich mir das in den Kopf setze. Abgesehen davon besitzt wahrscheinlich nicht jeder Besucher die Stirn, dem Präsidenten in seinem Büro unumwunden zu sagen, dass er einen Fehler gemacht hat.
    «Herr Präsident, Señor Perón», begann ich. «Ich habe etwas auf dem Herzen. Und weil Argentinien ein katholisches Land ist, könnte man vielleicht sagen: Ich möchte beichten.» Ich lächelte, als ich bemerkte, wie alle blass wurden. «Keine Sorge. Ich will Sie nicht mit den furchtbaren Dingen langweilen, die ich im Krieg gemacht habe. Ich gebe zu, dass ich einiges nicht gern getan habe. Dennoch habe ich keine unschuldigen Frauen und Männer auf meinem Gewissen. Nein, meine Beichte ist viel gewöhnlicher. Ich bin nicht Arzt. Ich traf einmal daheim in Deutschland einen Arzt, Grün hieß er. Der Mann wollte unbedingt weg, nach Amerika, doch er hatte furchtbare Angst, dass man herausfinden würde, was er während des Krieges gemacht hatte. Deshalb beschloss er, die Dinge so zu drehen,dass man davon ausgehen musste, ich wäre er. Er informierte die Israelis und den Alliierten Kontrollrat, wo ich zu finden war. Wie dem auch sei, er hatte gute Arbeit geleistet, niemand glaubte mir jedenfalls, dass ich nicht er war, sodass mir nichts anderes übrigblieb, als zu flüchten. Irgendwann wandte ich mich an die alten Kameraden, damit sie mir halfen, hierher zu kommen. Und so hat Carlos mir geholfen. Verstehen Sie mich nicht falsch, Señor. Ich bin heilfroh, dass ich hier sein kann. Ich hatte alle Mühe, eine israelische Todesschwadron zu überzeugen, dass ich nicht Grün bin, und ich war gezwungen, zwei von ihnen tot im Schnee in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen zurückzulassen. Verstehen Sie, Señor – ich bin tatsächlich ein Flüchtiger. Ich bin lediglich nicht der Flüchtige, für den Sie mich vielleicht halten. Insbesondere bin ich kein Arzt und war es auch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher