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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment
Autoren: Philip Kerr
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Señora, ob man mich wirklich berühmt nennen kann», erwiderte ich. «Berühmt ist ein Wort für Boxer oder Filmschauspieler, aber nicht für einen Detektiv. Sicher, die Polizeichefs der Weimarer Republik haben die Zeitungen in dem Glauben gelassen, dass einige von uns erfolgreicher wären als andere. Aber das warnur ein Bild, das der Öffentlichkeit vermittelt wurde, um ihr Vertrauen in unsere Fähigkeiten zu stärken.»
    Evita Perón versuchte ein Lächeln, doch es wollte ihr nicht recht gelingen. Ihr Lippenstift war makellos, und ihre Zähne waren perfekt, doch ihre Augen blieben kalt. Es war eher, als würde man in eine Gletscherspalte sehen.
    «Ihre Bescheidenheit ist – wie soll ich es sagen? – typisch für Ihre Landsleute», sagte sie. «Es scheint beinahe so, als wäre niemand von Ihnen jemals wichtig oder bedeutsam gewesen. Immer ist es jemand anders, dem die Verdienste gebühren, oder sollte ich lieber sagen, der die Schuld trägt. Stimmt das nicht, Herr Gunther?»
    Es gab eine Menge Dinge, die ich darauf hätte antworten können. Doch wenn die Frau des Präsidenten einem eine Ohrfeige verpasst, dann ist es besser, man hält ihr die andere Wange hin.
    «Es ist noch keine zehn Jahre her, da dachten die Deutschen, sie müssten die ganze Welt beherrschen. Und heute wollen sie nichts weiter, als einfach ein zurückgezogenes Leben zu führen und in Ruhe gelassen zu werden. Ist es das, was Sie wollen, Herr Gunther? Ein stilles Leben führen? In Ruhe gelassen werden?»
    Es war der Polizist, der mir unerwartet zu Hilfe kam. «Bitte, Señora», sagte er. «Herr Gunther will nur bescheiden sein. Glauben Sie mir. Er war ein großer Detektiv drüben in Deutschland.»
    «Wir werden sehen», entgegnete sie.
    «Nehmen Sie das Kompliment an, Herr Gunther. Wenn ich mich nach all diesen Jahren an Ihren Namen erinnere, dann werden Sie mir sicherlich zustimmen, dass Bescheidenheit fehl am Platze ist.»
    Ich zuckte die Schultern. «Nun ja, vielleicht», sagte ich.
    «Wie dem auch sei, ich muss nun los», sagte Evita Perón. «Ich überlasse Herrn Gunther und Colonel Montalban ihrer gegenseitigen Bewunderung.»
    Ich sah ihr hinterher, froh, dass sie endlich ging, zumal ihre Rückseite ziemlich ansehnlich war. Ich kannte den argentinischenTango, doch ich hätte glatt eine kleine Melodie summen können, während ich diesem in engen Stoff gehüllten, eleganten Hinterteil nachsah. Unter anderen Umständen hätte ich möglicherweise versucht, ihm einen Klaps zu versetzen. Es gibt Männer, die sind gut auf der Gitarre, und Männer, die sind gut im Domino. Bei mir waren es Frauenhintern. Es war zwar kein ausgesprochenes Hobby, doch ich war gut darin. Ein Mann sollte in irgendetwas gut sein.
    Nachdem sie gegangen war, stieg der Präsident zurück auf den Fahrersitz und nahm das Steuer in die Hand. Ich fragte mich, wie viel er ihr wohl durchgehen ließ, bevor er ihr einen Klaps versetzte. Wahrscheinlich eine ganze Menge. Es ist eine verbreitete Schwäche bei älteren Diktatoren mit viel jüngeren Frauen.
    «Bitte entschuldigen Sie, Herr Gunther», sagte Perón auf Deutsch. «Meine Frau versteht nicht, dass Sie aus dem   … dass Sie aus einem Gefühl heraus gesprochen haben. Sie haben gesagt, was Sie glaubten, sagen zu müssen. Und ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie sich mir anvertrauen. Vielleicht sehen wir beide etwas im anderen. Etwas Wichtiges. Anderen Menschen zu gehorchen ist eine Sache. Jeder Narr ist dazu imstande. Sich selbst zu gehorchen jedoch, sich der unnachgiebigsten und unerbittlichsten Disziplin zu unterwerfen, das ist es, was wirklich zählt. Stimmt es nicht?»
    «Jawohl, Herr Präsident.»
    Perón nickte. «Soso, Sie sind also kein Arzt. Dann wird es also nicht darum gehen, Ihnen dabei zu helfen, Ihre ärztliche Kunst zu praktizieren. Gibt es denn sonst etwas, das wir für Sie tun können?»
    «Es gibt eine Sache, Herr Präsident», sagte ich. «Vielleicht bin ich seekrank, oder ich werde einfach nur alt. Aber in letzter Zeit habe ich mich nicht gut gefühlt. Ich müsste dringend einen Arzt aufsuchen, Señor, falls das möglich ist. Einen richtigen, meine ich. Der herausfindet, ob irgendetwas nicht stimmt mit mir oder ob ich einfach nur an Heimweh leide   … obwohl mir das zugegebenermaßen selbst ein wenig unwahrscheinlich vorkommt.»

VIER
BUENOS AIRES
1950
    Mehrere Wochen vergingen. Ich erhielt meine
cedula
und zog aus dem Versteck in der Calle Monasterio in ein hübsches kleines Hotel im Florida-Viertel.
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