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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment
Autoren: Philip Kerr
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hässlich war es. Die Küche war heruntergekommen, die Deckenventilatoren waren rostig. Die Wände, ursprünglich wohl mal weiß, waren heute gelb, und das Mobiliar sah aus, alsversuchte es, zur Natur zurückzukehren. Giftig, halb verrottet, von Schimmel heimgesucht.
    Man führte mich zu einem Zimmer mit einer gebrochenen Fensterlade, einem verdächtig aussehenden Teppich und einem Messingbett mit einer Matratze, die so dünn war wie eine Scheibe Roggenbrot und ungefähr genauso komfortabel. Durch das schmutzige, spinnwebverhangene Fenster sah ich hinaus in einen Garten, der überwuchert war von Jasmin, Farnen und wilden Reben. Es gab einen kleinen Brunnen, der allem Anschein nach schon seit einer ganzen Weile nicht mehr funktionierte: Direkt unter dem kupfernen Wasserhahn hatte eine Katze ein Lager für ihre Jungen gebaut. Doch es war nicht alles schlecht. Wenigstens hatte ich mein eigenes Badezimmer. Die Wanne war zwar voll mit alten Büchern, was aber ja nicht bedeutete, dass ich kein Bad nehmen konnte. Ich lese gern, wenn ich in der Wanne sitze.
    Ein weiterer Deutscher wohnte bereits hier. Sein Gesicht war rot und aufgedunsen, und er hatte Tränensäcke unter den Augen, die so groß waren wie die Hängematte eines Schiffskochs. Sein Haar war strohblond und struppig, er selbst dünn und hatte überall Narben, die offenbar von Schusswunden kamen. Er trug nur die übelriechenden Überreste eines Morgenmantels über einer Schulter wie eine Toga. Seine Beine waren übersät von Krampfadern, so dick wie Eidechsen. Er schien von der stoischen Sorte, die in einem Fass schlief, allerdings steckte eine Schnapsflasche in seiner Manteltasche, und das Monokel in seinem Auge verlieh ihm einen Hauch von Eleganz und Vornehmheit.
    Fuldner stellte ihn uns als Fernando Eifler vor, doch ich ging davon aus, dass dies nicht sein richtiger Name war. Wir lächelten alle drei höflich und dachten das Gleiche: Wenn wir zu lange hier blieben, würden wir enden wie Fernando Eifler.
    «Hätte einer der Herren vielleicht eine Zigarette?», fragte Eifler. «Meine sind wohl ausgegangen.»
    Kuhlmann gab ihm eine und bot ihm zugleich Feuer an, währendsich Fuldner für die erbärmliche Unterkunft entschuldigte und erklärte, dass wir nur für ein paar Tage hier bleiben würden. Eifler sei nur deswegen immer noch da, weil er jede Arbeit abgelehnt habe, die die DAIE ihm angeboten hatte, die Organisation, die uns nach Argentinien gebracht hatte. Sein Ton war nüchtern und keineswegs vorwurfsvoll, doch unser Hausgenosse regte sich gleich auf.
    «Ich bin nicht um die halbe Welt gefahren, um zu arbeiten!», sagte Eifler mürrisch. «Für wen halten Sie mich? Ich bin ein deutscher Offizier und Gentleman und kein verdammter Bankangestellter! Ehrlich, Fuldner, das ist zu viel verlangt. Niemand drüben in Genua hat ein Wort davon gesagt, dass ich arbeiten muss, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen! Ich wäre niemals hergekommen, wenn ich gewusst hätte, dass Sie von mir erwarten, mir meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen! Ich meine, es ist schlimm genug, dass ich den Familienstammsitz verlassen musste – auch ohne die zusätzliche Demütigung, mich irgendeinem Vorgesetzten unterordnen zu müssen.»
    «Vielleicht hätten Sie es vorgezogen, sich von den Alliierten aufhängen zu lassen, Herr Eifler?», fragte Eichmann.
    «Ein amerikanischer Galgen oder ein argentinisches Halsband», entgegnete Eifler. «Das ist kein großer Unterschied für einen Mann meiner Herkunft. Offen gestanden, ich hätte mich lieber von den Popovs erschießen lassen, als mich jeden Morgen um neun Uhr an einen Schreibtisch zu setzen und zu arbeiten. Es ist einfach unzivilisiert.» Er lächelte Kuhlmann verkniffen zu. «Danke sehr für die Zigarette. Und ach so: Willkommen in Argentinien. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, die Herrschaften.» Er verneigte sich steif, humpelte in sein Zimmer und schloss hinter sich die Tür.
    Fuldner zuckte die Schultern. «Manche haben größere Schwierigkeiten, sich anzupassen, als andere. Ganz besonders Aristokraten wie Fernando Eifler.»
    «Hätte ich mir denken können», rümpfte Eichmann die Nase.
    «Ich lasse Sie und Herrn Geller jetzt allein, damit Sie sich einrichten können», sagte er zu Eichmann. Dann blickte er mich an. «Herr Hausner, Sie haben gleich jetzt einen Termin.»
    «Ich?»
    «Ja. Wir fahren zur Polizeiwache nach Moreno», sagte er. «Zur Registrierung ausländischer Personen. Sämtliche Neuankömmlinge
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