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Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Goldstein
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Dunkelheit gut zu erkennen ist.
    Ungefähr dreißig Meilen.
    Vier Stunden. Vielleicht fünf.
    Im Morgengrauen bin ich dort.Weihnachten am Kamin in Aquila. Eine festlich gedeckte Tafel, ein Becher Glühwein, ein warmes Bett. Und Frieden auf Erden.
    Bald habe ich die Stelle erreicht, wo letzte Nacht der schwarze Hengst in den Tod stürzte. War das wirklich erst gestern?
    Trotz der Anspannung, der Erschöpfung und der Schmerzen in meinen Gliedern genieße ich den wilden Ritt durch Nacht und Wind und Schnee. Felsen und Gestrüpp fliegen rasch an mir vorbei, während ich mich immer wieder im Sattel umdrehe und über die Schulter spähe, ob ich verfolgt werde.
    Wie winzige Glühwürmchen tanzen die Fackeln der Reiter weit hinter mir.
    Gott sei Dank! Sie sind viel zu weit entfernt.
    Wo ist eigentlich Jibril? Noch in der Abtei? Wie geht es ihm?
    Irgendwann ist es finster hinter mir. Das Licht der Fackeln ist verschwunden. Was aber nicht bedeutet, dass die Johanniter aufgegeben haben.
    Die nächtliche Landschaft verändert sich. Die knorrigen, gedrungenen Bergkiefern, die sich vor dem eisigen Sturm ducken, weichen einem dichten Wäldchen aus Ulmen und Buchen. Der Fels rechts von mir ragt an manchen Stellen senkrecht in den Himmel hinauf, der Abgrund links vom Weg stürzt hinab bis in die Tiefen der Hölle. Das Tal ist in Finsternis getaucht.
    Da! Zwischen den Ästen der Ahornbäume schimmert ein Licht!
    Die Templerkomturei?
    Der Weg wird immer schmaler und steiler. Und der Schneefall immer dichter. Nebel wabert den Steilhang herauf und bleibt in den Ästen der Bergulmen hängen. Der Fels unter dem Schnee ist gefroren.
    »Nicht so schnell, Al-Mansur!«
    Schneller Trab. Es ist einfach zu gefährlich. Dann nur noch langsamer Trab.
    Plötzlich taucht ein schwarzer Schatten vor mir auf.
    Ein Johanniter auf einem schwarzen Pferd kommt mir entgegen.
    Schon will ich an ihm vorbeipreschen, um zu entkommen, doch da erkenne ich ihn.
    »Jibril!«
    Ich zügele Al-Mansur.
    »Bist du aufgehalten worden?«, scherzt er. Dann wird er ernst. »Hast du das Mandylion?«
    Wortlos klopfe ich auf die Satteltasche mit der Ikone.
    Seine Augen blitzen, und er lächelt.

Kapitel 112
    Auf dem verschneiten Weg ins Tal
23. Dezember 1453
Gegen halb zwei Uhr nachts
    Das Licht, das ich vorhin für die Templerkomturei hielt, ist verschwunden. Im Schneegestöber kann ich nur schwer abschätzen, wie weit es noch ist bis ins Tal.
    Eine Meile? Oder zwei? Nicht mehr weit jedenfalls.
    Jibril hält sich dicht hinter mir und dreht sich immer wieder unruhig um, ob wir verfolgt werden.
    Doch hinter uns ist kein Lichtschein zu sehen.
    Plötzlich werden einige Pferdelängen vor uns Fackeln entzündet.
    Die Johanniter!
    Erschrocken zügele ich den scheuenden Al-Mansur.
    Sieben Johanniter auf ihren Schlachtrössern blockieren in einer langen Reihe den Weg ins Tal, eine Fackel in der linken, das Schwert in der rechten Hand. Fünf andere knien vor ihnen im Schnee und zielen mit ihrer Armbrust auf mich.
    Geschwind sehe ich mich nach einem Fluchtweg um. Doch es gibt keinen: rechts die Felswand, links der Abgrund.
    Als ich höre, dass Jibril sein Schwert zieht, drehe ich mich um, und ich erkenne auch die Fackeln hinter uns.
    Alles umsonst, denke ich verbittert.
    Ich blicke wieder nach vorn. Der Kommandant von Atri lenkt sein Pferd auf mich zu. Er hat den Pontifikalornat abgelegt und trägt jetzt wieder den schwarzen Habit der Johanniter.
    »Euer Eminenz!« Seine Stimme trieft vor Hohn. »Übergebt uns jetzt die Reliquie!«
    Ich blicke zu Jibril, der sein Pferd neben Al-Mansur gelenkt hat. Er wirkt traurig.
    Dieser gottverfluchte …
    »Es tut mir leid«, sagt er.
    Zitternd vor Verachtung und Zorn schüttele ich langsam den Kopf. »Mir auch.«
    Heiße Tränen steigen mir in die Augen. Die Kehle wird mir eng, und ich muss schlucken.
    Ja, ich bin maßlos enttäuscht. Weniger von Jibril, mit dessen Verrat ich rechnen musste, als von mir selbst. Wie konnte ich ihm nur vertrauen! Wie konnte ich nur meinen Gefühlen für ihn glauben!
    Sandra, du bist bescheuert! Gib’s zu! Du hast dich wieder Herz über Verstand in Jibril verliebt! Gesteh’s dir ein, auch wenn’s schwerfällt! Und was tut er? Er reißt dir wieder bei lebendigem Leib das Herz heraus! Sandra, ganz ehrlich, du verdienst es doch nicht besser!
    »Gib mir das Mandylion!«, fordert Jibril mit gepresster Stimme. Als ich nicht gehorche, richtet er die Spitze seines Schwertes auf meine Kehle. Der scharfe Stahl ritzt in meine
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