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Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Goldstein
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mir schließe, bleibe ich stehen, halte den Atem an und lausche.
    Kein Poltern, kein Trampeln, kein Schreien. Und der unebene Steinboden im Gang ist trocken und sauber. Kein Ritter hat unter den Absätzen seiner Reitstiefel Schnee hereingeschleppt.
    Ich schiebe das Schwert zurück in die Scheide, verriegele die Tür, entzünde die Kerze aus meiner Zunderdose, stürme hinauf in die Werkstatt und werfe einen Blick aus dem Fenster.
    Sechs oder sieben Johanniter eilen mit wehendem Wappenrock die Treppen zum Stall hinunter. Wenn sie merken, dass Al-Mansurs Pferdestand leer ist, werden sie den Hufspuren ins Tal folgen, und ich habe …
    In diesem Augenblick dröhnt ein dumpfes Hämmern durch das Aedificium.
    Beeil dich, Sandra, du musst das Mandylion finden und so schnell wie möglich verschwinden.
    Dann poltern die Ritter auch gegen die Tür zum Dormitorium. »Na los! Schlagt die Tür ein!«
    Sie kommen von zwei Seiten. Sie wollen mich in die Enge treiben.
    Hastig überfliege ich meine letzten Überlegungen zum Ikonenpalimpsest als Schatzkarte, die Prospero zum Versteck des Mandylions führen sollte. Dann sehe ich mir die mit Schmirgelsand abgeschliffene Ikone auf dem Arbeitstisch an. Das Bild zeigt den Basileus, der das Linnen mit dem Gesicht Jesu Christi mit beiden Händen hält. In der rechten unteren Ecke der Ikone glitzert die griechische Inschrift: Mandylion.
    Langsam schüttele ich den Kopf.
    Ich starre die Ikone an, bis mir die Augen tränen. Ich weiß, es gibt einen Hinweis, aber ich sehe ihn nicht. Wieso habe ich die Ikone übermalt? Um Galcerán zu verwirren? Wieso stelle ich ein Ikonenpalimpsest her, eine Ikone über der Ikone, wenn sich unter der Übermalung keine geheime Botschaft verbirgt? Kein Rätsel, das gelöst werden muss. Und kein Symbol, das entschlüsselt werden muss.
    »Alessandra Colonna!«
    Das wütende Gebrüll vor der Tür zum Geheimgang wird immer lauter. Und vor dem Portal zur Kirche kracht es mit einem Mal so laut, dass mir angst und bange wird.
    Mit zitternden Händen drehe ich die Ikone um und betrachte die Rückseite der Holztafel. Keine Inschrift, kein Zeichen, nichts. Nicht einmal in Tifinagh, der Schrift der Tuareg, die außer mir niemand entziffern kann. Und am zwei Finger dicken Rand? Auch nichts.
    Mit aller Kraft schlage ich die Ikone gegen die Werkbank. Sie zerbricht in zwei Teile. Kein Hohlraum – kein Mandylion.
    »Brecht die Tür auf!«
    Ratlos halte ich die beiden Teile der zerborstenen Holztafel in der Hand. Die Ikone besteht aus einer Tafel. Die Grundierung ist eine Schicht aus Gips. Mein Blick schweift über die Tiegel mit den geriebenen Farbpigmenten … über den Blattgoldflitter auf dem Arbeitstisch … die beiden Eierschalenhälften … die Marderhaarpinsel … den verklebten Spachtel … den Topf mit angetrocknetem Knochenleim … den Reibstein mit den …
    Halt!
    Der Knochenleim! Wozu habe ich den Leim benutzt?
    Nicht für diese Ikone.
    Verwirrt sehe ich mich in der Werkstatt um, aber ich kann nichts entdecken, wofür ich den Leim benötigt haben könnte. Ich wühle in dem Korb mit den Kaminanzündern herum, wo ich zuvor die Eierschalen gefunden habe. Mit beiden Händen hebe ich die Holzsplitter heraus und werfe sie auf den Boden.
    Mir stockt der Atem.
    Flache Späne, die nicht entstehen, wenn Brennholz mit der Axt zu groben Scheiten zerhackt wird, sondern wenn eine Holztafel mit einem scharfen Stemmeisen bearbeitet wird. Mein Blick fällt auf die Werkbank. Tatsächlich, da ist ein Klopfholz. Und ein Stecheisen. Mit Schlägen des hölzernen Klopfhammers auf das vertikal auf die Tafel angesetzte Stecheisen könnten die flachen Späne aus dem Holz herausgehauen worden sein.
    Ich habe eine Vertiefung in eine Holzplatte gegraben!
    Keine Bodendiele und keine Türzarge, so viel ist sicher. Denn die Arbeiten habe ich in aller Eile hier in der Werkstatt durchgeführt. Die Späne liegen in diesem Korb verborgen, damit Galcerán sie nicht entdeckt, wenn er in der Abtei das Unterste zuoberst kehrt, um das Mandylion zu finden. Er hat ja sogar den Altar zur Seite geschoben …
    Der Boden einer der Reisetruhen?
    Nein!
    Die Ikone? Mein Blick fällt auf die zerborstene Holztafel. Die Ikone! Ja, das ist es!
    »Alessandra Colonna! Ergebt Euch! Öffnet das Portal!«
    Ein donnerndes Krachen ist aus dem Kellergewölbe zu hören. Von oben dröhnen Schläge, Metall auf Metall. Und ein wüstes Geschrei.
    Unruhig fingere ich durch mein Notizbuch, ohne das Gekritzel wirklich zu lesen. Die
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