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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
Autoren: Peter S. Beagle
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von Holle raus! Ich liebeliebeliebedich!« Seine Worte klimperten in des Einhorns Kopf wie fallende Silbermünzen.
    Er begleitete es, bis es Abend wurde; als die Sonne unterging und der Himmel voll rosiger Fische stand, flog er vom Horn ab und schwebte und schwankte über ihm. »Ich muss den D-Zug noch erwischen«, sagte er höflich. Seine samtigen Flügel waren von einem Netzwerk zarter dunkler Adern durchzogen.
    »Leb wohl«, sagte das Einhorn. »Ich hoffe, du wirst viele neue Lieder hören.« Das dünkte ihm das Beste, was man einem Schmetterling zum Abschied sagen kann. Doch anstatt davonzufliegen, flatterte er weiterhin über ihm, in der bläulichen Abendluft wirkte er plötzlich weniger kühn und etwas nervös. »Flieg fort!«, drängte das Einhorn. »Es ist schon viel zu kalt für dich.« Der Falter blieb, wo er war, und summte vor sich hin.
    »Auf seinem Pferde ritt Mazeppa«, stimmte er zerstreut an; und dann sagte er laut und klar: »Einhorn. Lateinisch unicornis, Altfranzösisch Licorne. Wörtlich: einhörnig, unus für eins und cornu das Horn. Ein Fabeltier, das einem Pferd mit einem Horn ähnlich sieht. John Maynard war unser Steuermann, dem keine Frau vertrauen kann. Heinrich, der Wagen bricht!« Er schoss ausgelassen hin und her, und die ersten Leuchtkäfer blinkten erstaunt und entrüstet.
    Das Einhorn war so überrascht und glücklich, endlich seinen Namen zu hören, dass es die Erwähnung des Pferdes gerne verzieh. »Oh, du kennst mich also!«, rief es und sein entzücktes Schnauben blies den Falter zwanzig Schritte davon. Als er zurückgeflattert kam, flehte das Einhorn: »Schmetterling, wenn du wirklich weißt, wer ich bin, dann sag mir, ob du irgendwo meinesgleichen gesehen hast; sag, wo ich meine Gefährten finden kann. Wo sind sie geblieben?«
    »Glühwürmchen, Glühwürmchen, glimm’re«, sang er in der Dämmerung. »Wir lagen vor Madagaskar und hatten Rapunzeln an Bord, versoffen unser Oma klein Häusel, und wollten nicht mehr fort!« Er setzte sich wieder auf das Horn, und das Einhorn spürte, wie er zitterte.
    »Bitte«, sagte es, »ich will doch nur wissen, ob es irgendwo auf der Welt noch andere Einhörner gibt. Sag mir, dass es noch meinesgleichen gibt, und ich glaub dir und geh zurück in meinen Wald. Ich bin schon so lange in der Fremde und wollte doch so bald wieder daheim sein.«
    »Mit fünfundsiebzig die Fahrt begann, zurück kam nur ein einziger Mann, ja, ja, der Alkohol! Der Mond, der scheint so helle, die Toten reiten so schnelle!« Plötzlich hielt er inne und sagte mit fremder Stimme: »Nein, nein, hör zu, hör nicht auf mich, hörst du! Du kannst deine Gefährten finden, wenn du tapfer bist. Sie sind vor langer Zeit vom Roten Stier davongetrieben worden, er rannte dicht hinter ihnen her und verwischte mit seinen Hufen ihre Spuren. Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern!« Seine Flügel streiften das Einhorn.
    »Der Rote Stier?«, fragte es. »Wer ist der Rote Stier?«
    Der Falter fing wieder zu singen an: »Folge mir! Der Rote Stier? Folge mir! Folge mir! Das böse Tier!« Aber dann schüttelte er heftig den Kopf und deklamierte: »Als Kalb war er schon ein riesiges Tier, und seine Hörner sind so gewaltig wie die des Auerochsen. Und mit diesen Hörnern wird er alle Sünder in den Pfuhl des Verderbens stoßen. Hör, hör zu, hör gut zu!«
    »Ich hör doch zu!«, schrie das Einhorn. »Wo sind meine Gefährten, und wer ist der Rote Stier?«
    Der Schmetterling schoss lachend an seinem Ohr vorüber. »Ich hab Albträume, wenn ich an die Erde denke«, sang er. »Hunde bellen und bellen mich an, die Schlangen fauchen und schleichen heran, die Bettler verlassen die Stadt!«
    Noch einen Augenblick lang tanzte er in der Dämmerung vor ihm her, dann verlor er sich in den violetten Schatten am Wegesrand. »Du oder ich, Motte!«, sang er herausfordernd, »Arm in Arm in Arm…« Das Letzte, was das Einhorn von ihm sah, war ein schwaches Flattern zwischen den Bäumen, und das konnte eine Täuschung sein, denn die Nacht war jetzt voller Flügel.
    ›Wenigstens hat er mich erkannt‹, dachte es traurig. ›Immerhin etwas.‹ Aber dann gab es sich selbst die Antwort: ›Nein, das hat gar nichts zu bedeuten, oder höchstens, dass irgendjemand einmal ein Lied oder ein Gedicht über Einhörner gemacht hat. Aber der Rote Stier? Was hat er damit gemeint? Wahrscheinlich auch nur ein Lied.‹
    Es zog langsam weiter, und die Nacht brach über ihm herein. Der Himmel hing tief und war
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