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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
Autoren: Peter S. Beagle
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der Mann dem Einhorn sehr nahe, und dessen große Augen starrten in die seinen, die klein und müde waren und voll Erstaunen. Dann machte es kehrt und jagte die Straße hinauf und davon; und so schnell war sein Lauf, dass alle, die es sahen, ausriefen: »Seht! Dort läuft ein wahres Pferd!« Und ein alter Mann sagte zu seiner Frau: »Das ist ein Araber. Ich bin einmal mit einem Araber auf einem Schiff gewesen.«
    Von da an mied das Einhorn selbst bei Nacht alle Ortschaften; dennoch wurde es immer wieder von Menschen gejagt, aber diese Jagd galt immer einem streunenden weißen Pferd, und niemals war sie heiter und huldigend, wie es sich geziemt. Sie versuchten es mit Seilen und Netzen und Zuckerstückchen, sie pfiffen ihm und riefen es Nellie oder Bess. Manchmal rannte das Einhorn nicht gar so schnell, damit die Pferde es wittern konnten, und sah dann zu, wie sie sich aufbäumten und ausschlugen und mitsamt ihren entsetzten Reitern davonstoben. Die Pferde erkannten es immer.
    ›Wie kann das sein?‹, fragte es sich. ›Ich könnte ja noch verstehen, dass die Menschen uns Einhörner vergessen haben, oder dass sie sich geändert haben und uns jetzt hassen und jedes Einhorn töten wollen, das sie sehen. Aber sie erkennen mich ja nicht einmal, sie sehen mich an und sehen etwas ganz anderes! Wie mögen sie da erst für einander aussehen? Wie sehen da wohl Bäume in ihren Augen aus, oder Häuser, oder wirkliche Pferde, und wie ihre Kinder?‹
    Und manchmal dachte es: ›Wenn die Menschen nicht mehr erkennen, was sie erblicken, dann kann es ja auch noch andere Einhörner auf der Welt geben – unerkannt und froh darüber.‹ Doch es wusste, mit schmerzlicher Gewissheit, dass sich die Menschen verändert hatten, und mit ihnen die Welt. Und dann zog es wieder weiter auf seiner beschwerlichen Straße, obgleich es jeden Tag ein wenig mehr wünschte, seinen Wald nie verlassen zu haben.
    Eines Nachmittags flatterte der Schmetterling aus einer Brise und ließ sich auf der Spitze seines Hornes nieder. Er war sammetschwarz, mit goldenen Tupfen auf den Flügeln, und er war so zart wie ein Blütenblatt. Er grüßte mit seinen bebenden Fühlern und tanzte auf dem Horn. »Ich bin ein fahrender Sänger. Wie geht es dir?«
    Das Einhorn lachte zum ersten Mal auf seiner Wanderung. »Schmetterling, was machst du an so einem windigen Tag im Freien?«, fragte es ihn. »Du wirst dich erkälten und lange vor der Zeit sterben.«
    »Der Tod nimmt dem Menschen, was er gern behielte, und lässt ihm, was er gern verlöre«, erwiderte der Falter. »Blas, Wind, bis dir die Backen platzen! Ich wärme mir die Hände am Feuer des Lebens und schaff mir vierfache Erleichterung.« Auf dem Horn sah er aus wie ein samtener Schatten.
    »Weißt du, wer ich bin, Schmetterling?«, fragte das Einhorn voller Hoffnung, und er antwortete: »Bestens! Du handelst mit Fischen. Puppchen, du bist mein Augenstern, ich hab dich zum Fressen gern, du bist alt und grau und voller Schlaf, schwindsüchtige Mary Jane.« Er flatterte heftig, um nicht vom Wind davongeweht zu werden; dann sagte er leichthin: »Dein Name ist eine goldene Glocke, die in meinem Herzen hängt. Ich würde mich in Stücke reißen, wenn ich dich ein einziges Mal bei deinem Namen nennen dürfte!«
    »Dann sag meinen Namen!«, bat das Einhorn. »Wenn du meinen Namen weißt, dann sprich ihn aus!«
    »Rumpelstilzchen!«, rief der Schmetterling fröhlich. »Einen Orden kriegst du nicht!« Er tanzte und torkelte und sang aus Leibeskräften: »Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht, wenn an der nächsten Ecke schon Schneewittchen steht. In der Nacht, wenn meine Frau erwacht! Jüngelchen, mach Feuer an, dass ich meine Federn wärmen kann!« Seine Augen glühten im milchigen Glanz des Hornes.
    Das Einhorn seufzte und trottete weiter; es war enttäuscht und zugleich belustigt. »Geschieht dir recht«, sagte es, »wie kannst du von einem Schmetterling erwarten, dass er deinen Namen kennt! Sie kennen sich mit Liedern und Gedichten aus und mit allem, was sie so hören. Sie meinen es gut, aber sie bringen alles durcheinander. Und warum auch nicht? Sie sterben ja so bald.«
    Der Falter gaukelte vor seinen Augen und sang: »Lirum-larum Löffelstiel, schöne Frauen kosten viel! Frohsinn, führ mir ein Heer von grimmigen Grillen her. Der Kuckuck und der Kolibri, das sind die Herren Musici! Ich liebe, liebe, liebe dich, aber nach dem Schlussverkauf hört auch unsre Liebe auf! Und aus ihrem Hexenhaus, schaut heut Frau
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