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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
Autoren: Peter S. Beagle
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hörten wir einen Bach plätschern, und Molly ging los, fand ihn, schöpfte mit den Händen Wasser und brachte es her. Malka schlabberte es auf, versuchte dann aufzustehen und fiel um wie ein junger Hund. Aber sie versuchte es immer wieder, und schließlich stand sie und versuchte, mir das Gesicht zu lecken, verfehlte es aber die ersten paar Mal. Ich fing erst an zu weinen, als sie es endlich schaffte.
    Als sie das Einhorn sah, machte sie etwas Komisches. Sie starrte es kurz an und verbeugte sich dann auf Hundeart, indem sie die Vorderbeine ausstreckte und den Kopf dazwischen legte. Das Einhorn stupste sie mit der Nase, ganz sachte, damit sie nicht wieder umfiel. Es sah mich zum ersten Mal an… oder vielleicht sah ich es zum ersten Mal richtig an, sah nicht nur das Horn und die Hufe und das magische Weiß, sondern tief hinein in diese unendlichen Augen. Und irgendwie schafften es die Augen des Einhorns, mich von den Augen des Greifs zu befreien. Denn die Schrecklichkeit dessen, was ich gesehen hatte, war nicht verschwunden, als der Greif starb, ja, nicht mal als Malka wieder zum Leben erwachte. Doch das Einhorn hatte die ganze Welt in seinen Augen, die ganze Welt, die ich nie sehen werde, aber das macht nichts, denn jetzt habe ich sie gesehen, und sie ist wunderschön, und ich war auch dort drinnen. Und wenn ich an Jehane denke und an Louli und an meine Felicitas, die nur mit den Augen sprechen konnte, genau wie das Einhorn, dann werde ich an sie denken und nicht an den Greif. So war das, als wir uns ansahen, das Einhorn und ich.
    Ich sah nicht, ob das Einhorn sich von Molly und Schmendrick verabschiedete, und ich sah auch nicht, wann es davonging. Ich wollte es nicht sehen. Aber ich hörte Schmendrick sagen: »Einen Hund. Ich bringe mich fast um damit, sie zu Lír herbeizusingen, sie zu rufen, wie nie jemand ein Einhorn gerufen hat – und sie holt nicht ihn zurück, sondern den Hund. Und ich dachte immer, sie hätte keinen Humor.«
    Aber Molly sagte: »Sie hat ihn auch geliebt. Deshalb hat sie ihn gehen lassen. Sprich nicht so laut.« Ich wollte ihr sagen, dass es nichts machte, dass ich wusste, Schmendrick sagte das nur, weil er so traurig war, aber sie kam herüber und streichelte mit mir zusammen Malka, und ich brauchte es nicht zu sagen. Sie sagte: »Wir werden dich und Malka jetzt nach Hause geleiten, wie es sich zwei edlen Damen gegenüber gehört. Und dann werden wir auch den König nach Hause bringen.«
    »Und ich werde euch nie wiedersehen«, sagte ich. »So wenig wie ihn.«
    Molly fragte mich: »Wie alt bist du, Sooz?«
    »Neun«, sagte ich. »Fast zehn. Das weißt du doch.«
    »Du kannst doch pfeifen?« Ich nickte. Molly sah sich flüchtig nach allen Seiten um, als ob sie etwas stehlen wollte. Sie beugte sich dicht an mich heran und flüsterte: »Ich habe ein Geschenk für dich, Sooz, aber du darfst es erst an dem Tag aufmachen, an dem du siebzehn wirst. An diesem Tag musst du ein Stück vom Dorf weggehen, allein, an irgendein ruhiges Plätzchen, das du besonders gern hast, und dort musst du pfeifen, so.« Und sie pfiff eine kleine Tonfolge, die ich ihr dann meinerseits vorpfeifen musste, immer wieder, bis sie fand, dass ich sie ganz genau hingekriegt hatte. »Pfeif das jetzt nicht mehr«, wies sie mich an. »Pfeif es nie wieder laut bis zu deinem siebzehnten Geburtstag, nicht ein einziges Mal, aber pfeif es immer wieder im Kopf vor dich hin. Verstehst du den Unterschied, Sooz?«
    »Ich bin doch kein Wickelkind mehr«, sagte ich. »Klar versteh ich’s. Was passiert, wenn ich’s dann laut pfeife?«
    Molly lächelte mich an. Sie sagte: »Jemand wird zu dir kommen. Vielleicht der größte Zauberer der Welt, vielleicht auch eine alte Frau mit einer Schwäche für tapfere, freche Kinder.« Sie legte mir die Hand an die Wange. »Und ganz vielleicht sogar ein Einhorn. Denn Wunderbares wird dich immer wiedersehen wollen, Sooz, und nach dir horchen. Glaub dem Versprechen einer alten Frau. Jemand wird kommen.«
    Sie legten König Lír auf sein Pferd, und ich ritt mit Schmendrick, und sie kamen mit bis zu mir nach Hause, vor unsere Tür, um meinen Eltern zu sagen, dass der Greif tot war und dass ich dabei geholfen hatte, und da hättet ihr Wilfrids Gesicht sehen müssen! Dann umarmten sie mich beide, und Molly sagte mir ins Ohr: »Denk dran – erst wenn du siebzehn bist!« Und sie ritten davon und brachten den König heim auf sein Schloss, damit er bei seinen Leuten begraben werden konnte. Und ich trank einen
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