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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
Autoren: Peter S. Beagle
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Tod, wenn er jetzt gutmachen wollte, dass er all diese Ritter in den Kampf gegen den Greif geschickt hatte. Ich versuchte nicht, ihn zu warnen. Er hätte es sowieso nicht gehört, auch das war mir klar. Mir und der armen alten Lisene.
    Im Reiten erzählte er mir von dem Greif. Er sagte: »Wenn du je mit einem Greif zu tun haben solltest, Kleines, musst du dran denken, dass sie nicht wie Drachen sind. Ein Drache ist einfach nur ein Drache – duck dich, wenn er auf dich losgeht, aber halte Stand und führe das Schwert gegen seine Bauchseite, dann hast du schon gewonnen. Aber ein Greif, nun ja… ein Greif, das sind zwei höchst unterschiedlichen Kreaturen, Adler und Löwe, die irgendein humorvoller Gott miteinander verschmolzen hat. Und deshalb schlägt in dem Untier ein Adlerherz, aber auch ein Löwenherz, und du musst sie beide durchbohren, wenn du irgendwelche Aussichten haben willst, den Kampf zu überleben.« Er war dabei ganz fröhlich, hielt mich sicher im Sattel und sagte immer wieder, wie es alte Leute tun: »Zwei Herzen, vergiss das nie – viele Leute vergessen es. Adlerherz, Löwenherz – Adlerherz, Löwenherz. Vergiss das niemals, Kleines.«
    Wir kamen an vielen Leuten vorbei, die ich kannte und die draußen bei ihren Schafen und Ziegen waren, und sie winkten und riefen mir alle zu und machten Witze und dergleichen. Sie jubelten König Lír zu, verbeugten sich aber nicht vor ihm und nahmen auch nicht die Mützen ab, weil sie ihn ja nicht erkannten, nicht wussten, dass er es war. Er schien Vergnügen daran zu haben, was wohl nicht jeder König hätte. Aber ich kenne ja außer ihm keinen König, also weiß ich es nicht.
    Der Midwood schien schon nach uns zu greifen, als wir noch längst nicht dort waren, lange Schattenfinger, die sich über die kahlen Felder streckten, und die Blätter flirrten und blinkten, obwohl kein Wind war. Normalerweise ist ein Wald richtig laut, wenn man still stehen bleibt und nach den Vögeln, Insekten, Bächen und allem horcht, aber der Midwood ist immer still, ganz still. Diese Stille greift auch nach einem.
    Einen Steinwurf vom Wald machten wir Halt, und König Lír sagte zu mir: »Hier trennen sich unsere Wege, Kleines«, und setzte mich ab, so vorsichtig, als ob er einen Vogel wieder ins Nest setzte. Er sagte zu Schmendrick: »Ich bin nicht so naiv, dich und Sooz davon abhalten zu wollen, mir zu folgen« – er nannte Molly immer noch bei meinem Namen, jedes Mal, warum, weiß ich nicht –, »aber ich ermahne euch dringend, im Namen des großen Nikos selbst und im Namen unserer langen, kostbaren Freundschaft…« Er hielt inne und sagte so lange nichts mehr, dass ich schon Angst hatte, er hätte wieder vergessen, wer er war und was er hier wollte, wie schon so oft. Aber dann fuhr er fort, so klar und tönend wie einer von diesen verrückten Hirschen: »Ich erkläre es in ihrem Namen, im Namen der Lady Amalthea, für eure Pflicht, mir von dem Moment an, da wir den ersten Baum passieren, in keiner Weise beizustehen, sondern mir allein zu überlassen, was meine Aufgabe ist. Haben wir uns verstanden, meine Herzensfreunde?«
    Schmendrick ging das gegen den Strich. Man brauchte keine Zauberkräfte, um es zu erkennen. Es war selbst für mich ganz offensichtlich, dass er vorgehabt hatte, den Kampf zu übernehmen, sobald sie dem Greif tatsächlich gegenüberstünden. Aber König Lír sah ihn an, mit diesen jungen, blauen Augen und einem leisen Lächeln, und Schmendrick wusste einfach nicht, was tun. Er konnte ja auch nichts tun, also nickte er schließlich und murmelte: »Wenn Majestät wünschen.« Der König konnte es beim ersten Mal nicht verstehen und ließ ihn die Worte wiederholen.
    Und dann mussten sich natürlich alle von mir verabschieden, weil ich ja nicht weiter mitdurfte. Molly sagte, sie wisse, wir würden uns wiedersehen, und Schmendrick erklärte, ich hätte das Zeug zu einer echten Kriegerkönigin, sei aber gewiss zu schlau, um eine zu werden. Und König Lír… König Lír sagte zu mir, ganz leise, sodass es sonst niemand hören konnte: »Kleines, wenn ich verheiratet wäre und eine Tochter hätte, dann hätte ich nur den einen Wunsch, dass sie so tapfer und liebenswürdig und treu wäre wie du. Denk immer dran, so wie ich bis an mein Lebensende an dich denken werde.«
    Was ja alles sehr nett war, und ich wünschte, meine Eltern hätten hören können, was all diese Erwachsenen über mich sagten. Aber dann wendeten sie ihre Pferde und ritten in den Midwood, alle
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